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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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auf. Wobei er der Frage, ob er womöglich eifersüchtig war, nach Kräften auswich.
    Bruder Bartolo befreite gerade einen Pinsel gewissenhaft von Farbresten, als Pater Angelico die Tür zur Hauskapelle aufstieß. Augenblicklich nahm sein jungenhaftes Gesicht einen gespannt-aufgeregten Ausdruck an. Es war offensichtlich, dass er hin- und hergerissen war zwischen der Sorge, mit seinem Baumfresko versagt zu haben, und der Hoffnung, vor den Augen seines Meisters Gnade zu finden.
    »Meister, da seid Ihr ja wieder!« Selbst in seiner Stimme kam der Wettstreit seiner Gefühle zum Ausdruck. »Ich habe versucht, nach Euren …«
    Pater Angelico brachte ihn mit einer herrischen Handbewegung zum Schweigen, trat vor die Wand und betrachtete das Fresko mit zusammengekniffenen Augen.
    Lange Sekunden – für den Novizen quälend lang – stand der Meister stumm und mit kritischem Blick vor der Arbeit. Und mit jeder weiteren Sekunde, die verstrich, ohne dass Pater Angelico auch nur ein Wort von sich gab, schwitzte der junge Mann mehr.
    Schließlich ertrug er das Schweigen nicht länger. »Ich weiß, es ist nicht das, was Ihr erwartet habt, Meister«, brach es aus ihm heraus. »Aber besser …«
    »Nein, das ist es tatsächlich nicht!«, schnitt Pater Angelico ihm wieder einmal das Wort ab – mürrisch im Ton und mürrisch dreinschauend. Und dann begann er, mit der peinlichen Beobachtungsgabe des erfahrenen Malers das chiaroscuro seines Novizen zu bemängeln, die Handhabung der Hell-Dunkel-Effekte. Ihre Erfindung und Anwendung hatte entscheidend dazu beigetragen, dass florentinische Maler und ihre Nachahmer in ihren Gemälden und Fresken jene faszinierend plastische Darstellung erreichten, die zuvor niemand für möglich gehalten hatte.
    Bruder Bartolo fiel immer mehr in sich zusammen. Einmal mehr wünschte er sich an diesem Tag, die Erde möge sich unter ihm auftun und ihn verschlucken. »Bitte seht mir nach, dass ich Euch so enttäuscht habe«, murmelte er am Boden zerstört. »Das Übermalen …«
    »Hier wird nichts übermalt«, beschied ihn Pater Angelico. »Der Baum bleibt, wie er ist!«
    »Ja, aber die Mängel, die Ihr aufgezählt habt, Meister …«, hob Bruder Bartolo verständnislos an.
    »Würde nicht einmal jeder Pinseler sehen, der in Florenz ein Atelier unterhält und sich Maler nennt«, winkte Pater Angelico ab. »Geschweige denn der Dicke! Selbst wenn man ihn mit der Nase drauf stieße, würde er nicht begreifen, was man von ihm will. Außerdem bekommt er mit deinem Baum mehr, als er verdient.«
    Der Novize glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen, und wagte ein vorsichtiges Lächeln. »Und Ihr meint wirklich, man kann den Baum so lassen, ohne dass er Eurem Ruf schadet?«, vergewisserte er sich.
    »Der Baum ist prächtig!«, lobte Pater Angelico ihn endlich und seufzte schwer, als kosteten die folgenden Worte ihn Überwindung. »Eines Tages, und der dürfte gar nicht allzu fern sein, wirst du mich als Maler in den Schatten stellen.«
    Fassungslos sah Bruder Bartolo ihn an.
    »Aber glaube ja nicht, du könntest dir darauf jetzt etwas einbilden«, fügte Pater Angelico harsch hinzu, noch bevor der Novize auch nur ein Wort herausbrachte. »Wehe, deine Nase wird zum Regenfänger! Diese Flausen werde ich dir schnell austreiben!«
    »Das glaube ich Euch unbesehen, Meister«, versicherte der Novize und strahlte wie einer von jenen köstlichen, ölglänzenden Brotfladen, die aus der Küche des Giardino kamen.
    »So, und jetzt pack unsere Sachen zusammen!«
    »Aber wir haben doch noch mindestens eine Stunde Tageslicht!«, wandte Bruder Bartolo verwundert ein.
    »Die brauchen wir auch, aber nicht hier, sondern um dein erstes Fresko gebührend zu feiern«, verkündete Pater Angelico schmunzelnd. »Wir gehen auf ein Brot und einen Wein ins Giardino. Das hast du dir redlich verdient! Und morgen früh nehme ich dich mit in den Dom, damit auch du dir die Predigt des gelehrten Bruders aus Ravenna anhören kannst, der bei uns in der Stadt zu Besuch ist.«
    Oft hieß es in Florenz, wenn eine Einladung ausgesprochen wurde: »Kommt auf ein Brot und einen Wein!« Aber die Florentiner wären nicht die gewesen, die sie waren, hätten sie diese Redewendung tatsächlich wörtlich genommen. Natürlich blieb es nicht bei einem Becher Wein und schon gar nicht bei Brot allein. Und so war es denn auch an jenem Abend im Giardino.

35
    A m späten Nachmittag war das Wetter umgeschlagen. Vom Meer her waren tief hängende graue Wolken aufgezogen und

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