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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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der Größe eines Oktavblattes war, und las mit wachsendem Befremden und Abscheu. Das Schreiben war mit schmutzig brauner Tinte aufgesetzt, in einer noch viel merkwürdigeren Handschrift, die grob und ungelenk daherkam und doch immer verriet, dass der Verfasser eigentlich in der Lage war, überaus elegant und schwungvoll zu schreiben. Keine Frage, der Mann hatte sich bemüht, seine Schrift zu verfremden.
    Das Schreiben war an die Bevölkerung von Florenz gerichtet und begann mit dem markigen Anruf: Florentiner, hört! Und schon die ersten Sätze verrieten, was er dem Volk mitzuteilen hatte: Ich habe den Todesengel vom Himmel stürzen sehen! Vom Turm der heiligen Stadt kam er herab und fiel voller Zorn auf die Stadt der Schmerzen mitsamt ihrem verlorenen Volk nieder! Ihr wisst, welche einst gottesfromme Stadt seinen Zorn erregt und ihn hat herabstürzen lassen, um mit seinem Flammenschwert fürchterlich zu sühnen, was ihre gottlosen Bürger an Todsünden auf sich geladen haben. Zwei Mal sah ich den Todesengel im blendenden Licht der ihn umtosenden Flammen das gerechte Urteil vollstrecken. Hinabgefahren sind die von ihm niedergestreckten Sünder in den grauen Sumpf am Styx. Aber seid gewarnt! Noch weilt der Todesengel des Herrn in unseren Mauern, so dass auch Eure Stunde schon bald kommen kann! Das Sodom und Gomorrha am Arno wird seiner strafenden Schwerthand nicht entkommen. Wer sich nicht bekehrt und Buße tut, wird fallen und niedergemäht wie das Gras unter der Sichel des Sensenmannes! Es wird Schwefel und Asche vom Himmel regnen, und brennende Kreuze werden herabfallen und Euch erschlagen, auf dass das Heulen und Zähneklappern kein Ende hat! Florentiner, hört, was ich gesehen und Euch mitgeteilt habe! Der Todesengel, er wartet auch auf Euch! Und am Schluss folgte noch ein verlogen beschwörendes Gottes Barmherzigkeit sei mit uns!
    »Bei den Seelen der Heiligen und aller Märtyrer«, murmelte Pater Angelico angewidert. »Unglaublich! Was für ein krudes Zeug er da zusammenfaselt. Er bedient sich bei Dantes Göttlicher Komödie. Die ›Stadt der Schmerzen‹ steht bei Dante für die Hölle, und mit dem ›Turm der heiligen Stadt‹ ist natürlich der Himmel gemeint.«
    Tiberio Scalvetti nickte mit finsterer Miene. »Auch das mit ›dem grauen Sumpf am Styx‹ hat er geklaut; bei Dante bezieht es sich auf den fünften Kreis der Hölle. Ohne Geist und Verstand hat er das alles miteinander verquirlt«, sagte er abfällig. »Aber bei Gott, er hat mit diesem verfluchten Schreiben erreicht, was er wollte, nämlich, dass seine Morde für Strafakte des Todesengels gehalten werden! Was hier steht – und was der Schweinehund auch noch mit Blut auf dieses Blatt geschrieben hat, da gehe ich jede Wette ein –, ist schon jetzt in aller Munde!«
    Jetzt wusste Pater Angelico, weshalb er so viele Menschen hatte die Köpfe zusammenstecken und aufgeregt miteinander reden sehen. Von wegen Staatskrise oder Kriegserklärung! Der Mörder versteckte sich hinter einer Nebelwand aus religiösem Geschwafel.
    »Wo, um alles in der Welt, habt Ihr das her, Commissario?«, fragte er und reichte das Schreiben zurück.
    »Aus einem tamburo drüben an der Piazza di Santo Spirito.«
    »Raffiniert!«
    Tamburi wurden die kleinen Holzkästen genannt, die die Kommune an verschiedenen zentralen Orten der Stadt an Hauswänden angebracht hatte. Offiziell hießen sie buco della verità, Loch der Wahrheit. Aber mit der Wahrheit nahmen es die Florentiner, die sich der Kästen bedienten, nicht immer so genau. Denn was sie anonym auf die Zettel schrieben, die sie dort hinterließen, waren nur allzu oft bösartige Nachreden und Denunziationen unliebsamer Mitbürger.
    »Der Dämlack von Büttel, der den Tamburo dort heute Morgen leeren musste, hat bei seiner Rückkehr zur Behörde natürlich nichts Besseres zu tun gehabt, als das Schreiben in sämtlichen Amtsstuben herumzuzeigen«, sagte Scalvetti erbost. »Ihr könnt Euch denken, was dann passiert ist! Statt erst einmal Stillschweigen zu bewahren und alles Weitere mir zu überlassen, haben diese einfältigen Tintenkleckser sich mit ihrem Wissen wichtiggemacht und den Inhalt des Schreibens in die Welt hinausposaunt. Der Hundsfott, der das zu verantworten hat, gehört ausgepeitscht, so sehe ich es jedenfalls! Aber der Schaden ist nun einmal angerichtet, und wir werden damit leben müssen.«
    Pater Angelico verstand seinen Zorn. »Ein Gutes hat dieses Schreiben aber dennoch.«
    »Dass die einfach gestrickten

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