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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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»Das Bildnis stellt avaritia dar, die Todsünde Geiz und Habgier.«
    »Zweifellos«, pflichtete ihm der Commissario bei. »Und so ganz falsch liegt der Mörder mit dieser Bezichtigung post mortem ja auch nicht, wenn man bedenkt, wie sehr Niccolo Landozzi hinter dem Geld her war und auf welche Weise er versucht hat, Konkurrenten gegeneinander auszuspielen, um möglichst viel Profit herauszuschlagen. ›Verschlagenheit, Täuschung und Doppelzüngigkeit‹ hätten es sicher genauer getroffen, aber das kann man natürlich auch unter Habgier subsumieren.«
    »Die gespaltene Zunge und die abgetrennte Rechte – die Schwurhand, die, mit der man Verträge aufsetzt und seine Unterschrift leistet – verweisen auf genau die Geschäftspraktiken des Toten, die Ihr gerade genannt habt.«
    Nun richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf die blutigen Markierungen auf der Leiche.
    »Diesmal hat der selbsternannte Todesengel sich etwas mehr Mühe gegeben, damit wir sein Bibelzitat auch bestimmt erraten«, stellte Tiberio Scalvetti mit düsterer Miene fest. Klar erkennbar waren die Zeichen J VXVIII ins Fleisch des Toten geschnitten. »Die erste Fünf ist natürlich das Kapitel, der Rest meint Vers 18 der Bibelstelle.«
    »Er hat es uns leichtgemacht?« Pater Angelico lachte grimmig. »Ganz im Gegenteil! Mit dem J hat er uns eine Menge Arbeit bereitet. Wisst Ihr, wie viele Bücher der Bibel mit J anfangen? Geschlagene dreizehn! Angefangen mit den Büchern Josua, Judith und Jesus Sirach, darauf folgen Jesaja, Jeremia, Joel und Jona, dann das Johannesevangelium, der Brief des Jakobus, der erste Brief des Johannes …«
    Tiberio Scalvetti gebot der Aufzählung mit einer Handbewegung Einhalt. »Lasst es gut sein, Pater. Ich glaube Euch, dass es dreizehn sind. Aber so genau will ich gar nicht wissen, worauf sich das J und die Ziffern beziehen. Die Sache ist auch so klar.«
    »Dennoch ist es gut, die Stelle zu finden«, wandte der Mönch ein. »Wir dürfen nichts unbeachtet lassen!«
    »Da habt Ihr selbstverständlich recht. Wir werden uns der Sache später im Bargello annehmen. Vorher aber gilt es zu klären, wie der Mörder und der Sensale heute Morgen oder in der Nacht auf den Turm gekommen sind«, sagte Scalvetti. »Denn der Dreckshund von einem Mörder hat bestimmt keine Leiche die vierhundert Stufen hochgetragen. Wie zum Teufel hat er Landozzi dazu gebracht, mit ihm da hinaufzugehen?«
    »Und wie sind die beiden überhaupt in den Glockenturm gelangt?«, ergänzte Pater Angelico. »Soviel ich weiß, hat allein der Glöckner einen Schlüssel.«
    »Nicht allein. In den Räumen der Dombauhütte und der opera hängen ebenfalls Schlüssel für die Tür«, sagte Scalvetti. Opera wurde in Florenz die Baubehörde genannt, deren Kommissionen darüber wachten, dass alle Baumaßnahmen in der Stadt ihren Vorschriften entsprachen – und derer gab es viele.
    »Aber auch an einen von diesen Schlüsseln muss man erst einmal herankommen. Weder in die Dombauhütte noch in die Opera kann einfach irgendwer hineinspazieren und sich einen der Schlüssel nehmen«, wandte Pater Angelico ein.
    »Das stimmt, aber wir sind uns ja längst darüber einig, dass unser Täter aus einer Familie von Rang und Namen stammen muss, also aus einer reichen Familie, und solche Leute finden sich an diesen Orten oft ein, um Erkundigungen einzuholen, sich eine Baugenehmigung ausstellen zu lassen oder einfach nur einen Schwatz zu halten«, entgegnete der Commissario. »Da wird es schwer, um nicht zu sagen: unmöglich sein, herauszufinden, wer sich da in einem günstigen Moment bedient haben könnte. Zumal das schon eine Weile zurückliegen dürfte, denn diese Morde machen wahrhaftig nicht den Eindruck, als wären sie aus einer spontanen Eingebung heraus verübt worden. Hinter der Blutorgie steckt ausgefeilte Planung.«
    »Ja, das steht leider außer Frage«, seufzte Pater Angelico. »Verhielte es sich anders, wären wir ihm wohl längst auf der Spur.«
    »Auf die werden wir ihm aber kommen«, sagte Scalvetti grimmig. »Ich will nicht länger der Otto di Guardia angehören, wenn der Schweinehund ungestraft davonkommt!« Er starrte finster auf die Leiche – und zog plötzlich die Brauen zusammen. »Wartet! Das sollten wir uns doch näher ansehen!«
    »Was, Commissario?«
    »Diese kleinen Holzdinger, die er dem Opfer in die Augenhöhlen gedrückt hat«, sagte Scalvetti, griff zu seinem Dolch und pulte die Stücke mit der Spitze der Klinge heraus. Mit dem gräulichen Tuch, mit dem die

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