Der Todesengel von Florenz
röchelte und wehrte sich nach Leibeskräften, was allerdings nicht der Rede wert war. Der Mörder packte ihn mit der Linken am Kinn und hob ihn mit einer Leichtigkeit von dem Bohlenboden, als habe er es mit einem Daunensack zu tun. Dabei drehte er mit der anderen Hand die Garrotte in aller Ruhe immer enger zu. Er hatte Zeit und die Gewissheit, dass Landozzis wildes Zappeln gleich aufhören und der Erstickungstod in wenigen Minuten eintreten würde.
Als das Leben aus dem schmächtigen Körper des Maklers und Notars gewichen war, legte er die Leiche vor die nach Westen hinausgehende Brüstung. Dann trat er zwischen zwei Säulen, stützte die Hände rechts und links auf und blickte mit einem triumphierenden Lächeln hinunter auf das Dächermeer. Nie hatte er sich so mächtig und unangreifbar gefühlt wie in diesem Moment. Wenn Florenz am nächsten Morgen erwachte, würde ein neues Opfer des Todesengels auf seine Bewohner warten.
Davor galt es natürlich noch einiges vorzubereiten, diesmal sogar mehr, als es bei seinen vorherigen Opfern nötig gewesen war. Er fühlte sich in seinem Ehrgeiz herausgefordert und hatte sich deshalb vorgenommen, dass jeder neue Tote eine Steigerung bringen sollte, und zwar sowohl in der Art seines Sterbens als auch in der Präsentation seiner Leiche. Und wollte er diesem Anspruch gerecht werden, hatte er diese Nacht noch einiges zu tun.
Damit hatte es jedoch keine Eile. Hier oben brauchte er nicht zu befürchten, er könne überrascht werden. Vielmehr hatte er alle Zeit der Welt, den Sensale so herzurichten, wie er es sich ausgemalt hatte. Seine Werkzeuge konnten ruhig noch einen Augenblick warten, jetzt wollte er seine Tat erst einmal auskosten. Und sich mit hämischer Genugtuung daran ergötzen, dass diese stolze, hochmütige Stadt, die ihm bislang alles, wonach er sich schon so lange verzehrte, versagt hatte, vor ihm, dem Todesengel von Florenz, zitterte!
36
E s gab nur einen Zeugen, der am frühen Morgen mitbekam, wie der Sensale Niccolo Landozzi von der Turmspitze des Campanile stürzte, und in Einzelheiten davon berichten konnte. Es war der niedere Amtsdiener Flavio Dardone.
Der Mann verdankte seine Beobachtung und alles, was daraus für ihn noch folgen sollte, seiner Eile und dem Regen, der am Vortag bis gegen Mitternacht niedergegangen war. Er wollte früh im Dom sein, um dort noch vor dem allgemeinen Gedränge einen der vorderen Plätze zu ergattern. In seiner Eile bemerkte er den matschigen Unrat auf dem Weg nicht. Er trat hinein, rutschte aus, setzte sich mitten in der Pfütze hart auf den Hintern und blickte ganz ohne eigenes Zutun nach oben, zur Westbrüstung des Glockenturms.
»Da saß ich nun und dachte ärgerlich, dass ein dicker blauer Fleck am Hintern und die nassen Sachen nicht gerade der rechte Lohn dafür waren, dass ich mich so beeilt hatte, frühzeitig zur Predigt des gelehrten Mannes im Dom zu sein«, erzählte er später. »Und wie ich da so in der Pfütze saß und mich über mein Missgeschick ärgerte, schlug da oben die Glocke den ersten Ton an. Ihr wisst ja, wie kräftig unsere Domglocke gewöhnlich klingt. Aber da war nur ein schwacher Ton zu hören, so als wär unserer Glöckner noch halb im Schlaf und hätte nur müde am Seil gezogen. Das hat mich doch sehr gewundert, und dann hab ich das Tuch da oben über die Brüstung hängen sehen. Erst dachte ich, es hängt da, um eine schadhafte Stelle im Mauerwerk bis zur Ausbesserung vor Regenwasser zu schützen. Aber im selben Moment hat es sich auch schon gelöst, und darunter kam der Sensale zum Vorschein, der barmherzige Gott möge Erbarmen mit seiner Seele haben! Es sah aus, als würde sich der nackte Mann an die Brüstung klammern – ich habe meinen Augen nicht getraut. Aber dann ist er mit diesen Stricken um Hals und Beine vom Turm gestürzt, und das Tuch flatterte ihm hinterher. Ja, und dann ist er unten auf dem Domplatz aufgeschlagen. Das ist es, was ich gesehen habe, und der Herr möge mich strafen, wenn es nicht genau so gewesen ist, wie ich es erzählt habe.«
Der Amtsdiener musste seine Geschichte an diesem Tag noch viele Male erzählen – auf der Straße, in seiner Amtsstube und später in mehreren Schenken. Dabei gewann sein Bericht nicht nur an Länge, sondern auch an neuen schaurigen Einzelheiten, die ihm offenbar erst nach und nach wieder einfielen, insbesondere unter der anregenden Wirkung von so manchem Krug Wein, den man ihm spendierte.
So tauchte in seiner Geschichte irgendwann ein
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