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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Eisenriegel und der Drahtkordel oben im Glockenturm.
    Pater Angelico hatte das alles jedoch in äußerster Kürze und Verdrossenheit berichtet. Der Novize hatte deutlich gespürt, dass es ihm nur darum gegangen war, sein Wort zu halten. Und nachdem er ihn ins Bild gesetzt hatte, war er in ein missmutiges Schweigen verfallen, das er während der vergangenen Stunden auch nur unterbrochen hatte, um ein paar knappe Anweisungen zu erteilen. Sein Meister trug sichtlich schwer daran, dass sie in der Aufklärung der Morde noch immer keinen nennenswerten Fortschritt gemacht hatten.
    Als Pater Angelico sich nun umdrehte, um den Pinsel zu wechseln, sah er, was der Novize gerade tat. »Lass das, das mache ich schon selber«, brummte er.
    Bruder Bartolo machte ein betroffenes Gesicht. »Aber Ihr sagtet doch gerade, dass Ihr gleich das Umbra für die Landschaft im Hintergrund braucht!«
    »Schon richtig«, erwiderte Pater Angelico, dem bewusst wurde, dass er seinen Missmut ganz zu Unrecht an Bruder Bartolo ausgelassen hatte. »Was ich meinte, war: Greif besser selbst wieder zum Pinsel und mal den Kram da hinter dem Baum.« Er deutete auf die schwache, rötliche Unterzeichnung.
    Die Augen des Novizen blitzten auf. »Ich soll den Hintergrund malen?«
    »Das bisschen vage Landschaft kriegst du schon hin«, sagte Pater Angelico vertrauensvoll. »Achte bloß darauf, dass du die Konturen nicht zu deutlich ausarbeitest. Das menschliche Auge ist ein Wunderwerk unseres Schöpfers, es ergänzt ganz von selbst, was eigentlich noch da sein sollte, aber nicht da ist. Und so soll ein Hintergrund auch sein, sonst lenkt er zu sehr von der zentralen Aussage des Freskos ab, und die beschreibt hier nun einmal nicht eine geistige Wanderung durch die Toskana, sondern den Sündenfall.«
    Bei der Erwähnung der Wanderung durch die toskanische Landschaft verzog er geringschätzig das Gesicht. Als hätte das Paradies vor den Toren von Florenz gelegen und nicht irgendwo im Heiligen Land. Aber so waren die Signori, die sich all die Tafelbilder und religiösen Fresken malen ließen, nun einmal: In den Gesichtern der wichtigsten Figuren wollten sie sich selbst und ihre Liebsten erkennen, und das biblische Geschehen musste in der Toskana angesiedelt sein. Die Medici hatten in der Hauskapelle ihres Palastes nicht nur sich selbst als die Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland malen lassen, sondern den Zug der Weisen auch noch glattweg in ihre toskanische Heimat verlegt! Und sie waren weder diejenigen gewesen, die diesen Unsinn eingeführt hatten, noch würden sie die Letzten sein, die auf derartigen Darstellungen bestanden. Ihr Geld ermöglichte es ihnen, die geographischen Gegebenheiten und noch manches mehr in der Bibel fröhlich umzudichten. Ihrem Selbstverständnis mochte das natürlich entsprechen, hielten sie doch Florenz und das von ihm beherrschte Gebiet für das neue Gelobte Land.
    Freudig machte Bruder Bartolo sich an seine Aufgabe, griff zu einer Palette und bereitete vor, was er brauchte. Und durch die Worte seines Meisters ermutigt, fragte er dabei: »Ihr habt Euch noch gar nicht erkundigt, wie es im Dom war, Meister. Interessiert es Euch denn nicht, worüber der Gelehrte gepredigt hat?«
    »Nur zu, lass hören, was du davon behalten hast«, erwiderte Pater Angelico, aber nur, weil er merkte, dass der Novize gern darüber reden wollte. In Wahrheit war ihm das nach all dem Schrecklichen, was er auf dem Domplatz hatte sehen müssen, herzlich egal. Seine Gedanken kreisten um ganz anderes, und er nahm an, dass auch die meisten Leute im Dom anderes im Kopf gehabt hatten, als sich auf die Messe und die Predigt zu konzentrieren.
    Umso mehr erstaunte es ihn, wie genau Bruder Bartolo wiedergab, was der Ordensbruder aus Ravenna gepredigt hatte. Aber schon bald flachte seine Aufmerksamkeit wieder ab, und er hörte, während er die Schlange malte, nur noch mit halbem Ohr zu.
    »Oh, das wird Euch bestimmt besonders gefallen, wo Ihr doch so ein großer Verehrer des heiligen Kirchenlehrers Tommaso von Aquin seid«, sagte Bruder Bartolo, als er zum Ende seiner Erzählung kam, und es schwang in seiner Stimme tatsächlich ein spöttischer Ton mit.
    Nun horchte Pater Angelico doch auf und hielt in der Arbeit inne. »So, was hat er denn von ihm zum Besten gegeben?«, erkundigte er sich und wandte sich zu seinem Novizen um.
    »Nun ja, es ging auch um die von Gott gegebene Rolle der Frau in seiner Schöpfung«, sagte Bruder Bartolo, und in seinen Mundwinkeln nistete

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