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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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gestrafft, stand aber nicht unter Spannung.
    »Teufel auch«, sagte der Commissario, gegen seinen Willen beeindruckt. »Einfallslosigkeit kann man diesem Schlächter wirklich nicht vorwerfen! Eine primitive und doch geniale Konstruktion!«
    Pater Angelico nickte. Jetzt war offensichtlich, zu welchem Trick der Mörder gegriffen hatte. »Er hat Landozzi in das Tuch gewickelt, ihn nach außen gewuchtet, vor die Säulen der Balustrade, und dann die Schlaufen von Hals- und Fußstricken um den vorstehenden Teil des Riegels gelegt.«
    »Und mehr brauchte er nicht zu tun. Er konnte sich davonmachen in dem beruhigenden Wissen, dass die mit dem Hebelarm verbundene Kordel den Riegel aus der Fassung reißen und die Stricke freigeben würde, sowie der Glöckner unten am Seil zog«, rekonstruierte Scalvetti den Ablauf des Geschehens. »Kein Wunder, dass der Mann einen starken Widerstand gespürt hat.«
    »Und der Mörder hat sich für diese Konstruktion das passende Opfer gesucht, nämlich einen schmächtigen und verhältnismäßig leicht hochzuwuchtenden Burschen wie den Sensale«, bemerkte Pater Angelico.
    »Er muss reichlich Zeit hier oben verbracht haben, um alles entsprechend vorzubereiten und die Leiche nach seinen Vorstellungen herzurichten.« Tiberio Scalvetti hieb mit der Faust auf die Brüstung. »Tod und Teufel, der Kerl muss sich verdammt sicher fühlen! Und vergesst nicht: Er hat es fertiggebracht, Landozzi hier heraufzulocken, was an sich schon ein Kunststück ist!«
    »Woraus folgt, dass Landozzi seinen Mörder gekannt hat und einen sehr triftigen Grund gehabt haben muss, bei Nacht mit ihm hier heraufzusteigen«, fügte der Mönch hinzu. »Denn der Mann hat mir nicht den Eindruck gemacht, als fände er Gefallen an derart beschwerlichen Kletterpartien.«
    »Forlani oder Brancoletti, einer von beiden muss es einfach sein«, knurrte Scalvetti voller Ingrimm, und dann machten sie sich an den Abstieg.
    Unten auf dem Platz erteilte der Commissario einem herbeigerufenen Büttel Anweisungen, die unter anderem den Kleiderhaufen und die Augäpfel des Toten betrafen, vertraute ihm den Schlüssel für den Campanile an und machte sich mit dem Dominikaner auf den Weg ins Bargello.
    Eine Bibel war dort schnell herbeigeschafft. Es dauerte, wie vorhergesehen, eine Weile, bis sie die richtige Stelle hatten. Erst im Buch Jesaja wurden sie fündig. Der 18. Vers des 5. Kapitels passte zu der Tarotkarte, der aufgeschnittenen Zunge und der abgetrennten Hand.
    »Vae qui trahitis iniquitatem in funiculis vanitatis et quasi vinculum plaustri peccatum«, las Pater Angelico vor. »Was man wohl wie folgt übersetzen kann: ›Wehe denen, die am Unrecht ziehen mit Stricken der Lüge und an der Sünde mit Wagenseilen.‹« Er schnaubte. »Nun, man muss dem Mörder lassen, dass er immer wieder Stellen heraussucht, die zu seinem teuflisch blutigen Handwerk genau passen!«
    Tiberio Scalvetti ballte die Faust und ließ sie mit genauso viel Wucht auf die Tischplatte krachen, wie er sie zuvor auf die Turmbrüstung geschlagen hatte. Um ein Haar wäre der Totenschädel vom Papierstapel gerutscht. »Bei den Leiden des Herrn! Selbst die verdammten Stricke finden sich nicht nur bei dem Toten, sondern auch in der Bibelstelle!« Innerlich kochend angesichts seiner Ohnmacht, saß der mächtigste Mann der Otto di Guardia hinter seinem schweren Faktoreitisch.
    Eine ganze Weile herrschte finster brütendes Schweigen.
    »Wir kriegen ihn, Commissario«, sagte Pater Angelico schließlich. »Wir kriegen den Todesengel bestimmt!« Doch seine Versicherung fand in ihm selbst keinen Widerhall in Gestalt einer Idee, wie sie das anstellen sollten.

39
    B ruder Bartolo stand an einem der Beistelltische und presste in Leimwasser gelöstes Umbra aus einer Schweinsblase auf eine Palette. Indessen setzte sein Meister in das Gesicht des Adam noch einige Lichtpunkte, die den Ausdruck seiner Augen, sein kaum merkliches, rätselhaftes Lächeln und das Rot seiner Wangen noch lebendiger wirken ließen. Mit bewundernswert fließenden Bewegungen huschte sein Pinsel über die feuchte Farbe.
    Der Meister hatte ihn aus dem Kloster geholt, kaum dass er von der Messe mit der Predigt des gelehrten Mannes aus Ravenna zurückgekehrt war. Auf dem Weg in die Via Chiara hatte er ihn, wie versprochen, über alles unterrichtet, was er und Tiberio Scalvetti über den Mord an Niccolo Landozzi herausgefunden hatten, was nicht viel und auch nichts Neues war. Ausgenommen die raffinierte Sache mit dem

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