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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Büttel zuvor die Leiche abgedeckt hatten, wischte er das Blut von den runden Holzteilen, und dann hielt er sie dem Mönch auf der flachen Hand hin. Das eine war von roter, das andere von blauer Farbe. »Schaut, was wir hier haben!«
    »Quarteruoli!«, stieß Pater Angelico verblüfft hervor. Rechenmünzen. »Interessant!«
    Rechenmünzen dieser Art füllten im Kontor eines jeden Kaufmanns eine ganze Reihe von Schalen oder Beuteln. Mit ihrer Hilfe wurden auf dem Rechenbrett, dem abbaco, Zinsen oder Wechselkurse berechnet oder andere Kalkulationen angestellt, die als Kopfrechenaufgabe zu verzwickt gewesen wären. Dabei entsprach jede der Farben dem Wert einer florentinischen Münze.
    Tiberio Scalvetti nickte. »Es gibt im Haus unseres Mörders also Quarteruoli!«
    »Wie bei einem Bankherrn wie Brancoletti«, ergänzte Pater Angelico sogleich.
    »Aber auch bei Kaufleuten, wie Forlani einer ist«, konterte Scalvetti.
    »Dort sind sie aber im täglichen Geschäft nicht ganz so selbstverständlich wie bei einem Bankherrn. Jemand, der ständig damit hantiert, greift vermutlich unbewusst auch dann dazu, wenn er etwas Geeignetes für ganz andere Zwecke sucht.«
    »Möglich«, räumte der Commissario ein. »Wiederum andererseits kann der Mörder die Münzen auch bewusst verwendet haben, um genau den Verdacht zu erzeugen, den Ihr gerade ausgesprochen habt, Pater«, sagte Scalvetti. »Das halte ich bei der gewissenhaften Planung und Ausführung der Morde für wahrscheinlicher, und deshalb tippe ich weiterhin eher auf Forlani als auf Matteo Brancoletti.«
    »Das hat etwas für sich«, brummte der Mönch, hielt insgeheim jedoch an seinem Verdacht fest.
    Tiberio Scalvetti steckte die Rechenmünzen ein, säuberte seine Klinge an dem Tuch und deckte dieses wieder über die Leiche. Den Bütteln, die einen respektvollen Abstand zu ihnen eingehalten hatten, erteilte er den Auftrag, den Toten vom Domplatz weg und zunächst in die Leichenkammer des Bargello zu bringen. Dann wandte er sich an den Mönch und sagte munter: »So, und jetzt nehmen wir den Aufstieg in Angriff!«
    »Was sich wohl nicht vermeiden lässt«, sagte Pater Angelico mit einem Seufzen.
    »Seht es so, Pater: Die vierhundert Stufen rauf und runter werden die Verdauung kräftig anregen«, gab Scalvetti spöttisch zurück. »Das hat doch auch sein Gutes. Außerdem muss man nun einmal die Nuss erst knacken, wenn man den Kern essen will.«
    Da musste der Dominikaner doch lächeln, und er murmelte gottergeben: »Also dann, per aspera ad astra! « Durch Mühsal zu den Sternen.

38
    D er Dominikaner und der Mann der Acht waren beide gleichermaßen außer Atem und spürten, als sie die Treppenanlage erklommen hatten, die Muskeln in ihren Oberschenkeln ganz ordentlich. An dem weiten Ausblick über die Stadt und bis hinaus aufs Land zeigten sie wenig Interesse. Sie hatten noch immer das Bild des toten Sensale vor Augen und wollten herausfinden, wie der Mörder es angestellt hatte, dass die Leiche beim ersten Glockenschlag vom Turm gefallen war.
    So fiel ihr Augenmerk denn auch gleich auf die Stelle, wo der Mörder sein Opfer entkleidet und zugerichtet hatte. Die Kleider bildeten einen kleinen Haufen in der Ecke rechts der westlichen Brüstung. Auf den Bohlen fanden sich Flecken getrockneten Bluts. Dort lagen auch die herausgeschnittenen Augäpfel, wobei die Pupillen glücklicherweise nicht nach oben gerichtet waren. Fast ebenso schnell entdeckten die Männer die Drahtkordel, die vom Hebelarm herabbaumelte. An ihrem Ende hing ein Eisenriegel, etwa so lang wie eine Hand und mit einem Loch für die Schnur versehen. Er war etwa zwei Finger breit und so dick wie ein Goldstück.
    »Das kann nicht alles sein«, murmelte Tiberio Scalvetti, während er den Eisenriegel begutachtete.
    »Strafft doch mal den Draht und kommt mit dem Riegel hierher!«, rief Pater Angelico, der auf der Mitte der Westbrüstung unter dem Balustradenbrett etwas entdeckt hatte. Dort war eine metallene Halterung mit einer flachen, rechtwinkligen Öffnung zwischen dem Mittelstück und dem Holz angeschraubt worden, wie man sie an einfachen Türrahmen zum Vorschieben eines Riegels fand. »Ich gehe jede Wette ein, dass der Riegel in diese Klammer passt!«
    Tiberio Scalvetti trat mit dem Eisenriegel zu ihm. Wie eine Klinge in die dazugehörige Scheide glitt er in die Halterung. Als er hinten auf Widerstand stieß, ragte er noch zu zwei Dritteln unter dem Holz hervor – und die Drahtkordel, die zum Hebelarm führte, war

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