Der Todesengel von Florenz
Schreiben aus Bologna, von unserem Ordensgeneral, wie ich dem Siegel entnehmen konnte. Es war ja wirklich nicht zu übersehen«, betonte Bruder Federico, als fürchtete er, man könnte ihn unstatthafter Neugier bezichtigen. »Der ehrwürdige Vater hat das Schreiben gelesen und gesagt, er müsse auf der Stelle zum Medici. Eine schlimme Nachricht kann es jedoch nicht gewesen sein, denn er machte einen sehr freudig erregten Eindruck. Aber bevor er davoneilte, hat er mir noch aufgetragen, Euch zu holen.«
Ein Schreiben von ihrem Ordensgeneral in Bologna! Das gefiel Pater Angelico ganz und gar nicht. Erst recht nicht, wenn dieses Schreiben Vincenzo Bandelli in freudige Erregung versetzte. Das ließ Böses ahnen, und er musste sofort an Girolamo Savonarola denken. Aber dieser Angelegenheit würde er später nachgehen.
»Gut, ich komme, Bruder Federico!«
Zusammen eilten sie zurück nach San Marco. Dort fand Pater Angelico genau das vor, was der Laienbruder beschrieben hatte. Vor den Beichtstühlen hatten sich lange Schlangen von Menschen gebildet, die es drängte, ihre Sünden zu bekennen und sich der priesterlichen Lossprechung zu versichern. Keine Frage, der dritte Mord des Todesengels und sein perfides Schreiben hatten die Leute dermaßen in Schrecken versetzt, dass sie nun um ihr eigenes Leben und Seelenheil fürchteten!
Rasch legte er sich in der Sakristei die violette Stola um und setzte sich in einen der freien Beichtstühle. Eine gute Stunde lang nahm er eine Beichte nach der anderen ab und bekam dabei eine Unzahl von geringfügigen wie auch schwerwiegenden Sünden zu hören. Da war neben den vielen kleinen Charakterschwächen alles vertreten, was ein Florentiner sich an Lügen, üblen Nachreden, Falschaussagen vor Gericht, Schlägen im Jähzorn, Diebereien, Wuchergeschäften, Verwendung von falschen Gewichten, Unterschlagungen und insbesondere fleischlichen Sünden nur auf das Gewissen laden konnte. Bald schwirrte Pater Angelico der Kopf von all den hastig vorgebrachten Litaneien menschlicher Verfehlungen.
Obwohl er nichts hörte, was ihm nicht auch früher schon an diesem dämmrigen Ort offenbart worden wäre, bestürzte ihn diese geballte Fülle menschlicher Niedertracht doch. Wo nur war das halbwegs gesunde Verständnis für die Würde der Mitmenschen geblieben?
Unwillkürlich fragte er sich, ob nicht längst die Zeit für eine zweite Parusie, eine erneute Erscheinung Christi in der Welt, gekommen sei. Andererseits würde die Rückkehr Christi vermutlich vielen in der Kirche äußerst ungelegen kommen, vor allem den Prälaten und anderen Würdenträgern, die dann wohl Wichtigeres zu tun hätten, als sich mit dem Ereignis zu beschäftigen.
Wieder hatte ein Sünder – erlöst und mit der Buße von einigen Rosenkranzgebeten und einem Dutzend Vaterunser – den Beichtstuhl verlassen und dem nächsten Platz gemacht, und Pater Angelico bereitete sich mit halb geschlossenen Augen auf das nächste gemurmelte Sündenbekenntnis vor.
Dass es sich um eine Frau aus gutem Haus handelte, wusste er schon, bevor er ihre Stimme hörte. Der feine Duft, den sie dankenswerterweise mitbrachte und der den herben Schweißgeruch ihres Vorgängers überlagerte, hätte ihm eigentlich sagen müssen, wer da auf der anderen Seite vor dem Gitter kniete und das Kreuz schlug. Doch er war mit seinen Gedanken noch bei der Parusie, auf die er wohl vergeblich hoffte.
Kaum hatte die Frau die ersten Worte gesprochen, fuhr er wie vom Blitz getroffen zusammen und schaute entgeistert auf das Sprechgitter.
»Donzella Lucrezia?«, stieß er ungläubig hervor.
»Padre, ich habe gesündigt und bitte Euch, mir die Beichte abzunehmen«, raunte sie im Tonfall der reuigen Sünderin, hielt den Kopf aber nicht schamvoll gesenkt, wie sie es eigentlich hätte tun sollen.
Pater Angelico vergaß, was er eigentlich hätte sagen sollen. Stattdessen fragte er beunruhigt und in abweisendem Ton: »Was macht Ihr hier?«
»Was alle vor mir wollten und die nach mir auch noch wollen: die Beichte ablegen, Padre. Warum kniet man sich denn sonst in einen engen Beichtstuhl?«
Ihr aufmüpfiger Ton sagte ihm, dass er allen Grund hatte, beunruhigt zu sein. Unmöglich, dass Lucrezia zufällig zur Beichte nach San Marco gekommen war und dann auch noch ihn als Beichtvater erwischt hatte. »Was Ihr tut, ist nicht recht, Donzella Lucrezia! Geht und sucht Euch einen anderen Priester«, forderte er sie auf. »Damit ist uns beiden besser gedient!«
»Ihr verweigert mir die
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