Der Todesengel von Florenz
es sehen«, sagte Bruder Bartolo verwirrt – und zugleich beeindruckt von der Argumentation seines Meisters.
»Und so sollten wir es auch sehen!«, bekräftigte dieser.
Dennoch, so schnell gab Bruder Bartolo nicht auf. »Andererseits steht in der Bibel aber auch geschrieben, dass Gott ihm Eva zur Hilfe gemacht hat!«
»Und was kommt direkt danach? ›Die ihm entspricht ‹! Und dieses Entsprechen ist ja wohl etwas anderes als Gebärenkönnen und ihm im Paradies den Haushalt führen, was ja wohl ein Paradox ist«, gab Pater Angelico prompt zurück. »Wären dort irgendwelche Arbeiten zu verrichten gewesen, hätte es sich ja wohl kaum um das Paradies gehandelt. Es sei denn, man versteht unter Paradies einen Ort, an dem allein die Frau sich abmüht. Mag sein, dass viele sich das wünschen, aber mit Gottes Paradies hat es nichts zu tun.«
»Bei Gott, Ihr wisst die Bibel auf eine Art auszulegen, dass einem der Kopf schwirrt«, sagte der Novize kleinlaut und hielt nicht länger dagegen.
Pater Angelico aber war nun richtig in Fahrt geraten. Der Groll, der in ihm saß, stachelte ihn geradezu an, noch eins draufzusetzen. »Aber wenn man die Sache auf die Spitze treiben will, dann lese man die nachfolgende Stelle, wo es heißt: ›Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch.‹«, fuhr er fort. »Und dieses endlich sollte sehr zu denken geben, Bruder Bartolo! Drückt Gott damit doch aus, dass ihm bei Adam, unserem Stammvater aus dem Ackerboden, die Sache wohl nicht ganz so gelungen war und diesem aus Erde geformten Geschöpf etwas Wesentliches fehlte, nämlich Sein Bein und Sein Fleisch!«
Er machte eine kurze Pause, um dann bissig hinzuzufügen: »Wenn man sich so in der Welt der Nachkommen aus Dreck und Erde umsieht, dann kann man auch nicht umhin festzustellen, dass vielen noch immer so einiges Wesentliche dazu fehlt, vor Gottes Antlitz Gefallen zu finden. Aber selbst das wundert einen nicht, wenn man die Bibel aufmerksam gelesen hat. Denn während Adam es sich wohl ohne großen Antrieb, den Dingen auf den Grund zu gehen und zu neuer Erkenntnis zu gelangen, im Paradies gutgehen ließ, legte Eva waches Interesse für alles an den Tag und ›wollte klug werden‹, wie es geschrieben steht. Und wenn das dann auch etwas schiefgegangen ist, gefällt mir eine Eva, die nicht nur auf der faulen Haut liegen, sondern klug werden wollte, trotzdem besser als der langweilige Mitläufer Adam!«
Scharf sog Bruder Bartolo die Luft ein. Wenn das mal nicht an Blasphemie heranreichte! Doch diesen Gedanken behielt er klugerweise für sich.
»Und jetzt zurück an die Arbeit, du spät geborener Adam«, sagte Pater Angelico mit freundlichem Spott. »Jetzt hast du etwas, worüber es sich nachzudenken lohnt – im Gegensatz zu dem dümmlichen Geschwätz, das dieser Gelehrte, wohl unter faulen Winden, heute Morgen von sich gegeben hat!« Und dann machte er sich daran, der Schlange einen gar nicht verschlagenen Blick zu geben, sondern ihr vielmehr in das eine Auge ein verschmitztes Zwinkern zu setzen.
40
A m frühen Nachmittag kam der junge Laienbruder Federico aus San Marco zu ihnen in den Palazzo des Marsilio Petrucci. »Der ehrwürdige Vater schickt mich«, teilte er Pater Angelico mit sorgenvoller Miene mit. »Ihr müsst sofort ins Kloster kommen! Leider auf der Stelle, wie mir aufgetragen wurde.«
»Was gibt es denn so Eiliges, das nicht warten kann?« Pater Angelico arbeitete gerade an der Vorzeichnung des zweiten Freskenfeldes. Sein Novize deutete derweil im Hintergrund prächtige Schirmpinien und Olivenhaine an, wie man sie überall in der Toskana fand.
»Unsere Priester werden der vielen Leute nicht Herr, die zu uns kommen und unbedingt die Beichte ablegen wollen! Die Gläubigen drängen sich in Scharen, und nicht nur in San Marco, wie man hört«, berichtete der Laienbruder. »Und wir haben nur drei unserer sechs Beichtstühle besetzen können, wo doch Pater Donato noch in Rom weilt, Pater Ludovico mit Nierenkoliken im infirmarium [4] liegt, Pater Stefano zu einem Sterbenden gerufen worden ist und unser ehrwürdiger Vater von dringlichen Geschäften daran gehindert wird, Beichten abzunehmen.«
Ungnädig zog Pater Angelico die Brauen zusammen. »Was kann dringlicher sein, als das heilige Sakrament der Beichte und die Lossprechung zu spenden?«
»Wohl ein wichtiges Gespräch mit Signore Lorenzo. Ich habe dem Prior nämlich vorhin ein Schreiben gebracht, das mit einem Kurier bei uns eingetroffen ist. Ein
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