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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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unerfüllt bleiben muss«, gab er hölzern zur Antwort. »In Eurem Fall ist zudem anzunehmen, dass es sich um eine vorübergehende Gefühlsaufwallung handelt, die mit Eurem derzeitigen, trotzigen Widerstand gegen das Leben mit Schleier zusammenhängt.«
    »Unsinn!«, kam es scharf von jenseits des Gitters. »Verzeiht, Padre, aber ich weiß, was ich für diesen wunderbaren Mann empfinde. Ich bin kein schwärmerisches Dummchen von zwölf, dreizehn Jahren, das nicht zwischen romantischen Anwandlungen und wahrer Liebe unterscheiden kann. Ich bin eine erwachsene Frau.«
    »Mag sein, Donzella Lucrezia«, erwiderte Pater Angelico mit rauer Stimme. »Aber das ändert nichts daran, dass dieser … Ordensmann ein ewiges Gelübde abgelegt hat und daher Eure Liebe keine Zukunft haben kann!«
    »Das stimmt nicht!«, erwiderte sie, Verzweiflung in der Stimme. »Solche Gelübde können von der Kirche durch einen besonderen Dispens aufgehoben werden! Und sagt nicht, das sei nicht schon oft geschehen. Ich kann Euch genügend Beispiele von Ordensleuten nennen, die …«
    »Genug davon!« Es war mehr ein Flehen als ein Befehl. »Wenn Ihr keine weiteren Sünden zu beichten habt, dann betet als Buße für Euren Ungehorsam und Eure Uneinsichtigkeit zehn Rosenkränze und zehn Vaterunser.« Und bevor sie ihm noch ins Wort fallen konnte, schlug er vor dem Gitter das Kreuz und ratterte in geradezu panischer Hast die Lossprechung herunter: »Ego te absolvo a peccatis tuis in nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti!« Ich spreche dich von deinen Sünden frei im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
    Der ›Heilige Geist‹ war ihm noch nicht ganz über die Lippen gekommen, da zog er sich auch schon die Stola vom Hals, warf sie hinter sich auf den Sitz, stieß die Tür auf und stürzte zur Verwunderung der noch Wartenden aus dem Beichtstuhl.
    Weg! Weg! Nichts als weg!
    Ohne auf die befremdeten Blicke zu achten, die ihm folgten, stürmte er auf das Kirchenportal zu und rannte hinaus auf die Piazza.

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    A ls er begriff, was er getan hatte, war er entsetzt. Er hatte genau zu der Feigheit Zuflucht genommen, die er sich wenige Augenblicke zuvor noch untersagt hatte, und war kopflos aus Beichtstuhl und Kirche geflohen. Wie groß mussten seine Gefühle für Lucrezia sein, wie groß die Versuchung, ihnen zu erliegen, dass er sich dazu hatte hinreißen lassen!
    Allmächtiger Gott, welch grausame Prüfung hast Du mir auferlegt, um die Wahrhaftigkeit meiner Berufung auf die Probe zu stellen?
    Fassungslos stürmte Pater Angelico ziellos durch die Straßen und Gassen. Nichts von dem, was um ihn her geschah, nahm er wirklich zur Kenntnis. Vermutlich hätte die Stadt in Brand oder unter dem Beschuss feindlicher Truppen stehen können, ohne dass dies den Mahlstrom seiner quälenden Gedanken durchdrungen hätte.
    Wochenlang hatte er die Augen davor verschlossen, welche Gefühle Lucrezia in ihm geweckt hatte und wie unaufhaltsam sie gewachsen waren. Und in jenen kurzen Momenten, in denen er gewagt hatte, ihre Existenz zumindest am Rande seines Bewusstseins wahrzunehmen, hatte er sich unverzüglich mit der verlogenen Behauptung beruhigt, dass er diese Zuneigung unter Kontrolle habe und dass sie bald wieder abebben werde. Ein kurzes Aufflackern normaler Regungen in der Nähe einer bezaubernden Frau, nichts weiter. Nichts, was sonderliche Beachtung verdient hätte, nur eine dieser natürlichen Versuchungen und Beschwernisse, die ein Ordensmann zu ertragen und zu ignorieren hatte wie die winterliche Kälte seiner Zelle und die Ungerechtigkeit seines Oberen. Nichts, was geduldiges, inniges Gebet und der Hobel der Zeit nicht Lage um Lage abzutragen und schließlich ganz zum Schweigen zu bringen vermocht hätten.
    Welch ein Irrtum!
    Ihm stand ein fürchterlicher innerer Kampf bevor, von dem er nicht wusste, ob er ihn gewinnen konnte … ja, ob er ihn überhaupt gewinnen wollte. Nur, selbst wenn er den Willen dazu aufbrachte, sich gegen seine Liebe zu Lucrezia zu entscheiden, und den Kampf gegen diese ungestüme Kraft in sich aufnahm – mit welchen Waffen sollte er ihn führen? Er fühlte sich dem inneren Feind so wehrlos ausgeliefert wie ein Landsknecht, der mitten in einer fürchterlichen Schlacht dem Gegner plötzlich mit bloßen Händen gegenüberstand.
    Im Westen senkte sich bereits die müde Wintersonne dem hügeligen Gelände von Santo Spirito und seinem Mauerring entgegen, als er allmählich seine Fassung wiederfand und sich an die

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