Der Todesengel von Florenz
eine angemessen scharfe Antwort zu geben.
Stattdessen tauschten sie noch einige Artigkeiten aus. Und dann erschien ein römischer Konsul an ihrer Seite, in eine elegante weiße Toga mit goldener Mäanderborte gehüllt. Dazu trug er Sandalen mit feinen, goldfarbenen Riemchen, die im Rautenmuster bis zu den Knien hinauf gebunden waren. Eine mit Glitzersteinen besetzte und mit Lorbeerblättern bemalte Maske verbarg die obere Hälfte seines Gesichts, aber die Kinnpartie, die prägnante Nase und die schmalen Lippen ließen unschwer erkennen, dass er ein Brancoletti war.
»Entschuldige, Bruder.«
»Was gibt es, Alessio?«, fragte Matteo Brancoletti ein wenig ungehalten wegen der Unterbrechung.
Alessio flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Was Matteo Brancoletti zu hören bekam, war offenbar sehr zu seinem Gefallen, denn die unwillige Miene wich augenblicklich einem breiten Grinsen. »Bei den Seelen der Heiligen, wie hast du denn das fertiggebracht?«, stieß er aufgeregt hervor.
»Nicht hier, Bruder«, sagte Alessio.
»Natürlich«, pflichtete der Bruder ihm bei, entschuldigte sich bei Pater Angelico und ging, einen Arm huldvoll über dessen Schulter gelegt, mit Alessio davon.
Der Mönch blickte ihnen nach, bis sie rechts der Treppe hinter einem schweren Vorhang verschwanden, der gewöhnlich dort nicht hing. Von seinen beiden vorherigen Besuchen wusste Pater Angelico, dass dahinter der Gang lag, der in den Anbau und zu den Kontoren und dem Lagerraum der Bank führte.
Etwas lustlos wandte er sich wieder dem Zeitvertreib zu, dem er sich zuvor hingegeben hatte, ließ sich seinen Pokal wieder füllen und überlegte, ob er nicht schon mal nach oben gehen und sich in der Nähe von Matteo Brancolettis Privatgemächern herumtreiben sollte.
Den anderen Landsknecht hatte er im Gedränge aus den Augen verloren – dieser aber nicht ihn, wie sich herausstellen sollte.
Er befand sich schon auf dem Weg zur Treppe, als er Matteo Brancoletti wieder hinter dem Vorhang hervorkommen sah. Der Bankherr ging auf Antonetta zu, die in der Nähe mit einer Bediensteten sprach und ihr wohl irgendwelche Anweisungen erteilte. Antonetta folgte dem Wink ihres Schwagers, und er flüsterte ihr etwas ins Ohr, das sie auflachen ließ. Dann folgte sie ihm, wenn auch nach kurzem Zögern, hinter den Vorhang.
Pater Angelico war irritiert. Nicht, weil der Bankherr seine Schwägerin geholt hatte, um ihr abseits der Gäste die freudige Nachricht zu übermitteln, die er soeben von Alessio erhalten hatte. Vielmehr war ihm beim Anblick des Bankherrn etwas aufgefallen und hatte ihn stutzen lassen, ohne dass er hätte sagen können, was es war.
Doch dann wusste er es.
Die goldenen Riemchen an den Beinen des Pharaos! Das war nicht Matteo Brancoletti gewesen, sondern Alessio – im Kostüm seines Bruders!
47
E inen winzigen Moment lang stand Pater Angelico wie vom Donner gerührt. Er verstand nicht, was das zu bedeuten hatte. Dann schlug sein Instinkt Alarm. Er drückte dem nächstbesten Livrierten seinen Pokal in die Hand und beeilte sich, den beiden hinter den Vorhang zu folgen.
Hinter den ersten beiden Türen, die er im Gang des Banktraktes hastig öffnete, lagen verlassene, dunkle Schreibstuben. Hinter der dritten, die in den Vorraum eines Lagergewölbes führte, brannte Licht.
Und dort saß, im Untergewand, Matteo Brancoletti an einem langen Faktoreitisch. Sein Oberkörper war über der dicken Tischplatte zusammengesunken, die Arme baumelten leblos herab. Vor ihm stand ein Krug. Daneben lagen ein umgekippter Weinpokal, ein beschriebenes Blatt Papier sowie ein kleiner Glasbehälter und ein Korken. Alessios Kostüm hing, sorgfältig gefaltet, über der Rückenlehne eines zweiten Stuhls, der auf der anderen Seite des Tisches stand.
Noch bevor Pater Angelico das Bild ganz in sich aufgenommen, seine Verstörung überwunden und begriffen hatte, was seine Augen sahen und welche Schlüsse das nahelegte, hörte er ein ersticktes Röcheln und gleich darauf Alessios höhnische Stimme. Er fuhr herum und starrte zu dem breiten, rundgemauerten Durchgang, der in das angrenzende Lagergewölbe führte.
Viele Bankherren in Florenz unterhielten solch ein Lager, wickelten sie doch nicht nur Geldgeschäfte ab, sondern besorgten ihren vermögenden Kunden auch seltene Waren aus fernen Ländern, die gewöhnliche Händler nicht anboten. Und sofern die Bezahlung stimmte, schreckten sie selbst vor der Beschaffung von jungen Chorknaben mit besonders hellen, glockenreinen Stimmen
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