Der Todesengel von Florenz
herrschte, auch noch als Fresken- und Tafelbildmaler einen ausgezeichneten Ruf erworben hatte, das hatte die Abneigung des Priors gegen ihn nur noch verstärkt.
»Benedicite!«, bellte Vincenzo Bandelli noch einmal, diesmal eine gute halbe Oktave höher. Dazu ließ er die massive Eichentür hinter sich demonstrativ mit lautem Knall ins Schloss fallen.
Der Prior von San Marco war ein Mann Mitte vierzig, der sich nicht nur seiner respekteinflößenden stattlichen Gestalt jederzeit bewusst war, sondern auch seinen hohen Rang und den daraus abgeleiteten Anspruch auf Gehorsam wie ein Gewand zu tragen verstand. Er war es nicht gewohnt, dass man ihn warten ließ, selbst dann nicht, wenn er nur ein Wort hingeworfen hatte, das im monastischen Alltag kaum mehr war als eine Floskel.
Er stand an der Tür. Seine hellen Augen blitzten, und der verkniffene Ausdruck auf dem markanten Gesicht mit der Habichtsnase zeugte von dem Verdruss, der in ihm gärte.
Pater Angelico, der mit dem Rücken zur Tür stand, drehte sich weder auf der Stelle um, wie es jeder andere Klosterbruder an seiner Stelle getan hätte, noch entbot er dem Oberen die Antwort, die dieser erwartete.
Verstohlen warf Bruder Bartolo seinem Novizenmeister einen nervösen und sichtlich verwirrten Blick zu. Auf das »Benedicite« eines Oberen hatte unverzüglich die Antwort »Dominus!« zu erfolgen. Diese zweigeteilte Aufforderung »Segne – Herr!« war von der Ordensregel vorgegeben für den Fall, dass ein Oberer im Kreuzgang oder an einem anderen Ort, an dem das klösterliche Schweigegebot galt, ebendieses vorübergehend aufhob, weil es etwas Wichtiges zu besprechen gab.
Aber das »Dominus« aus Pater Angelicos Mund blieb aus.
»Mach weiter!«, raunte der Mönch stattdessen seinem Novizen zu, der beim Knallen der Tür wie unter einem Peitschenhieb zusammengefahren war. Dann erst wandte er sich in aller Ruhe dem Prior zu, der mit grimmiger Miene darauf wartete, dass er ihm endlich das »Dominus« entbot – und zu ihm an die Tür kam.
Pater Angelico aber dachte nicht daran, sich zu ihm zu begeben. Die Antwort auf das »Benedicite« durfte er ihm natürlich nicht schuldig bleiben, nur fiel sie nicht so aus, wie der Klosterobere es erwartet hatte.
»Ihr werdet vermutlich über all den wichtigen Dingen, die Ihr zu bedenken habt, vergessen haben, dass das studiolo eines Novizenmeisters nicht zu jenen Bereichen in unserem Kloster gehört, wo gottgefälliges Schweigen zu herrschen hat und man sich bestenfalls mit Handzeichen verständigt … ehrwürdiger Vater«, rief er quer durch den Raum – mit einer Leutseligkeit, die weder von Herzen kam noch sich in seinen Augen widerspiegelte.
Es erboste ihn, dass Vincenzo Bandelli wieder einmal gedankenlos in seine Werkstatt platzte und sich nicht bewusst machte, welchen Ort im Kloster er damit betrat und welche Regeln hier galten. Was wiederum nicht verwunderlich war, machte der Prior sich doch auch sonst so gut wie keine Gedanken über seine Arbeit. Was den Oberen daran ausschließlich interessierte, waren die lukrativen Aufträge, die er für ihn aushandeln konnte, meist ohne ihn vorher davon in Kenntnis zu setzen. Üblicherweise kümmerte er sich bei diesen Verhandlungen einen feuchten Kehricht darum, ob er, Pater Angelico, diesen oder jenen Auftrag überhaupt zum vereinbarten Zeitpunkt fertigstellen konnte, ganz zu schweigen davon, ob es ihm gefiel, das Verlangte zu malen, oder nicht. Bandelli dachte an nichts anderes als die prallen Geldbörsen voller Goldflorin, die er im Namen des Klosters einstrich und mit denen er die ohnehin fette Geldtruhe von San Marco um einen weiteren Batzen mästen konnte.
»Und da Ihr es für notwendig erachtet habt, dass ich unseren Novizen auch noch im Handwerk der Malerei unterrichte, entfällt das Schweigegebot selbstverständlich auch hier in meiner Bottega«, fuhr Pater Angelico spitzzüngig fort, woraufhin Bruder Bartolo sich tiefer über den Mörser beugte und die Malachitbrocken noch hektischer bearbeitete, so als wappne er sich für einen Wutausbruch des Priors.
»Aber nun ja, lassen wir um der Liebe Gottes willen Euer ›Benedicite‹ nicht so verwaist im Raume hängen, auch wenn der Herr es uns in seiner unendlichen Barmherzigkeit wohl kaum verübeln würde …« Und dann erst kam das Wort über seine Lippen: »Dominus!« Der Spott in seinem Ton war fast mit Händen zu greifen.
Der Prior schnappte hörbar nach Luft, doch er beherrschte sich. Statt aus der Haut zu fahren,
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