Der Todesengel von Florenz
es, kaum dass die Frage ihm über die Lippen gekommen war. Teufel, offenbar war auch seine Gurgel nicht stark genug geringelt!
Der Prior reckte das Kinn vor. »Wenn Ihr nichts zu verbergen habt, dürfte es Euch ja keine Schwierigkeiten bereiten, darüber Auskunft zu geben!«
Fieberhaft überlegte Pater Angelico, wie er sich aus der Klemme befreien sollte, in die er sich selbst manövriert hatte. Bandelli dreist anzulügen kam nicht in Frage. Deshalb blieb ihm nichts anderes übrig, als sich hinter der Wahrheit zu verstecken.
»Wo kann ich denn schon gewesen sein, ehrwürdiger Vater? Lasst mich kurz nachdenken. Ja, natürlich, jetzt fällt es mir wieder ein! Ich war bei einem Juden, um mit ihm über die göttliche Offenbarung und die Frage zu disputieren, welche Religion denn nun die einzig wahre sei …«
Hinter ihm sog Bruder Bartolo hörbar die Luft ein, und für einen Moment setzte das Stampfen und Mahlen aus. Dann jedoch wurde es fortgesetzt, und zwar in einem erheblich schnelleren Rhythmus als zuvor.
»… und danach habe ich mich in einem verschwiegenen Kellergewölbe dem Opiumrausch hingegeben«, fuhr Pater Angelico grimmig fort, »um diesem irdischen Jammertal wenigstens für ein paar Stunden zu entfliehen. So, jetzt wisst Ihr, wo ich mich herumgetrieben habe!«
Zornesröte schoss dem Prior ins Gesicht, und die Ader auf seiner Stirn schwoll an. »Dass es Euch in erheblichem Maße an der gebotenen Demut mangelt, ganz zu schweigen von dem geschuldeten Gehorsam, ist für mich als Euer Prior wahrlich keine neue Erfahrung!«, zischte er. »Bei Gott, von Euch bin ich in dieser Hinsicht einiges gewohnt, und der Herr allein weiß, warum ich Euch das immer wieder durchgehen lasse! Aber diese blasphemische Verhöhnung setzt Eurem despektierlichen Verhalten wahrhaftig die Krone auf!«
Pater Angelico zuckte die Achseln. Der Schaden war angerichtet – Reue schaffte ihn nicht mehr aus der Welt. »Ihr wolltet die Wahrheit wissen.«
»Schweigt! Wagt es nicht noch einmal, mich mit solch hanebüchenem, gottlosem Unsinn zu verhöhnen!«, sagte Vincenzo Bandelli mühsam beherrscht. »Aber das wird ein Nachspiel haben! Dafür werdet Ihr Euch beim nächsten Schuldkapitel …«
Der Satz des Klosteroberen blieb unvollendet, denn in dem Moment flog die Tür zur Werkstatt auf, mit solcher Wucht, dass sie krachend gegen die Seitenwand schlug.
Bruder Ormanno, der schwergewichtige portarius mit dem sanften Wesen eines verträumten, genügsamen Kindes, kam mit wehender Kutte ins Atelier gestürzt. »Ehrwürdiger Vater …«, rief er, blieb nach zwei, drei Schritten mitten im Raum stehen und japste nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Dass der Mönch außer Atem war, wunderte keinen. Diesen massigen Körper schneller zu bewegen als im Schneckentempo musste Schwerstarbeit sein. Auffällig aber war die kranke Blässe seines Gesichts. Pater Angelico kannte den Klosterbruder nicht anders als mit leicht geröteten Wangen.
»Was gibt es, Bruder Ormanno?«, fragte Vincenzo Bandelli unwirsch.
»Pater Nicodemo!«, stieß der Portarius keuchend hervor. »Man hat ihn … ihn gefunden, ehrwürdiger Vater!«
»Was du nicht sagst! Ich wusste gar nicht, dass er vermisst wurde!«, erwiderte der Prior sarkastisch. »Meines Wissens ist er ans Sterbebett von Ser Aurelio …«
Bruder Ormanno schüttelte heftig den Kopf und tat etwas, das er noch nie gewagt hatte: Er fiel seinem Oberen ins Wort. »Man hat Pater Nicodemo tot aufgefunden, ehrwürdiger Vater!«, stieß er kurzatmig und mit gequälter Miene hervor.
Ungläubige Blicke trafen ihn, doch nur Pater Angelico erschrak, denn er sah seinem Mitbruder an, dass es an der Nachricht, die er überbrachte, keinen Zweifel gab.
»Was redest du da?«, rief der Prior dagegen unwillig. Pater Nicodemo mochte ein steifes Bein haben, aber ansonsten erfreute er sich, wie jeder im Kloster wusste, bester Gesundheit.
»Bei meiner Seele, es ist, wie ich sage, ehrwürdiger Vater!«, versicherte der Portarius. »Commissario Scalvetti hat uns einen Boten mit der Nachricht geschickt. Pater Nicodemo ist tot und …« Er schluckte und schlug hastig das Kreuz über sich, bevor er widerstrebend hinzufügte: »Es soll ein Verbrechen vorliegen!«
10
D ie Luft war frisch und klar, und unter dem stahlblauen Himmel erschienen den Florentinern die schweren nächtlichen Regengüsse nur noch wie die blasse Erinnerung an einen bösen Traum.
Auf der Via dei Pilastri drängte sich vor der Brandruine an der Ecke Via
Weitere Kostenlose Bücher