Der Todesengel von Florenz
Sant’Anna eine dichte Menge aus sensationslüsternen Passanten und Bewohnern der umliegenden Häuser. Sie hielten ein paar Schritte Abstand zum Ort des Verbrechens, und es herrschte auch kein Geschrei, wie es sonst bei Menschenaufläufen üblich war.
Vielmehr klang das erregte Raunen, Flüstern und Zischeln wie das Sirren eines aufgescheuchten Bienenschwarms. Es schien, als wollte keiner durch allzu lautes Reden Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das war der übliche Effekt, wenn die otto di guardia, die gefürchtete und mit unbegrenzten Befugnissen ausgestattete florentinische Geheimpolizei, an einem Ort erschien.
Es gab kaum ein Durchkommen, doch Pater Angelico ließ sich von der Mauer aus dicht gedrängten Menschenleibern nicht entmutigen. Mit grimmiger Entschlossenheit bahnte er sich, Bruder Bartolo im Schlepptau, einen Weg durch die Menge der Gaffer.
Dabei forderte er nicht nur immer wieder energisch, die Schaulustigen sollten einem Ordensbruder des Toten gefälligst Platz machen, sondern teilte auch großzügig Stöße mit Fäusten und Ellbogen aus, wenn die Leute nicht auf seine Zurufe reagierten und keine Gasse für sie bilden wollten. Den gesenkten Kopf wie einen Rammbock einsetzend, schob er sich unaufhaltsam durch die zähe Masse der Leiber.
Er konnte noch immer nicht recht glauben, dass Pater Nicodemo ermordet worden war und er sich tatsächlich auf dem Weg zum Schauplatz eines Verbrechens befand. Es erschien ihm unwirklich, und insgeheim hoffte er, dass das Ganze sich als Irrtum erwies, dass eine Verwechslung vorlag.
Lass es so sein, Herr!
Endlich durchbrach er die vorderste Reihe von Schaulustigen, die ein gutes Dutzend Schritte Abstand zum Ort des Verbrechens eingehalten hatten. Jedoch nicht aus Scheu oder gar Respekt vor dem Toten, sondern wegen der sbirri, die ihnen ein weiteres Vordringen verwehrten. Vier dieser Schergen der Geheimpolizei, ausnahmslos grobschlächtige Kerle mit breitem Kreuz und hartem Gesicht, standen breitbeinig da und riegelten mit gekreuzten Hellebarden den Zugang von der Via dei Pilastri zur Via Sant’Anna ab.
Drei weitere Schergen blockierten die Straße unterhalb des Tatorts, zwei waren direkt vor der Brandruine postiert. Die Sbirri trugen grau gefärbte, eng anliegende Lederkappen, und von schiefergrauer Farbe und völlig schmucklos waren auch Wams, Beinkleider und Umhang. Manche nannten sie deshalb auch die Grauen Wölfe der acht allmächtigen Commissari, aus denen sich das Kollegium der Otto di Guardia zusammensetzte.
Von den gekreuzten Spießen mit ihren blitzenden Klingen ebenso wenig beeindruckt wie von den abweisenden, verschlossenen Mienen, ging Pater Angelico auf die Sbirri zu. Bruder Bartolo dagegen war plötzlich nicht mehr so darauf bedacht, mit ihm Schritt zu halten, und fiel zurück.
Die Hellebarden der beiden Schergen, die mitten auf der Straße standen und auf die Pater Angelico zuhielt, klirrten warnend gegeneinander.
»Keinen Schritt weiter, Mönch!«, blaffte der Größere der beiden. Der Mann war gebaut wie ein aus einem Steinbruch gehauener Klotz und hatte eine fleischig dicke, vorgestülpte Unterlippe, auf der man bequem nach Rom hätte reiten können. »Troll dich! Zurück zu den anderen Gaffern! Du hast hier nichts zu suchen!«
Pater Angelico trat unbeirrt auf ihn zu. »Du irrst, guter Mann«, sagte er und zwang sich, freundlich dreinzuschauen. »Und du bist gut beraten, mir und meinem Begleiter den Weg freizugeben, damit ich zu meinem toten Klosterbruder …«
Stülplippe schnitt ihm das Wort ab. »Hast du es auf den Ohren und auf den Augen, Kerl?«, herrschte er ihn an. »Hier kommt keiner durch. Hier ist ein Sperrbereich der Otto di Guardia, falls du das noch nicht begriffen hast, Kuttenträger! Also verschwinde, bevor du dir richtig Ärger einhandelst! Und zwar ein bisschen plötzlich, sonst setzt es was!«
Pater Angelico tat das genaue Gegenteil. Er trat noch näher an den Schergen heran. Nun trennte ihn nicht einmal mehr eine Armeslänge von dem Mann – und seinem schlechten Atem und üblen Körpergeruch.
Die beiden Sbirri reagierten blitzschnell und ohne dass es einer Absprache bedurft hätte. Mit einem hellen Geräusch schabte Metall über Metall, und ihm nächsten Moment lag Pater Angelicos Kehle in einer Zange aus zwei rasiermesserscharfen Hellbardenbeilen.
Er zuckte nicht mit der Wimper. Stattdessen sah er Stülplippe unerschrocken an. »Soll ich jetzt vielleicht vor Todesangst zittern?« Er tippte spielerisch von unten gegen
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