Der Todesengel von Florenz
die Hellebardenschneiden, als handele es sich um harmlose Spielzeuge. »Das wird nicht passieren, weil nicht einmal der größte Tölpel unter euch so dumm wäre, einem Dominikaner von San Marco auch nur die Haut zu ritzen! Ihr Büttel braucht doch immer jemanden, der euch sagt, was ihr zu tun und zu lassen habt, und der den Kopf dafür hinhält. Also lass den Unfug! Bei mir verfängt euer Waffengeklapper nicht!«, sagte er. »Du kannst froh sein, dass Commissario Scalvetti, der nach mir geschickt hat, nicht sieht, wie dämlich du dich anstellst und wie großkotzig du dich aufplusterst, statt erst einmal schlicht nach meinem Begehr zu fragen. Denn dann würdest du bestimmt morgen schon nicht mehr Scherge der Otto di Guardia sein, sondern für den Rest deines Lebens an irgendeinem Stadttor Wache schieben!«
Dem Schergen klappte der Unterkiefer herunter, als hätte das Gewicht seiner wulstigen Lippe den Kampf gegen die Wangenmuskeln endlich gewonnen. Seinem Gesichtsausdruck nach dämmerte ihm, dass er einen Fehler begangen hatte, der unangenehme Folgen haben konnte.
Bevor er jedoch handeln konnte, wurde einer der beiden Sbirri, die direkt vor der Brandruine standen und sich leise unterhalten hatten, auf sie aufmerksam. Dieser Mann war im Gegensatz zu den anderen nicht mit einer Hellebarde bewaffnet, sondern trug ein Schwert an der Hüfte.
»Giuseppe! Manetto! Was geht da vor sich?«, rief er herrisch und kam auch sogleich mit energischen Schritten herangestiefelt.
Augenblicklich wurden die Klingen von Pater Angelicos Hals weggezogen, und Stülplippe hatte es eilig, sich zu seinem Vorgesetzten umzudrehen und ihm stammelnd mitzuteilen: » Caporale Gualberti, dieser … äh … dieser Mönch hier … also er hat gerade behauptet, dass Commissario Scalvetti … nach ihm geschickt hat.«
»Womit er die Wahrheit sagt, sofern sein Name Pater Angelico ist, was ich annehme!«
Der Caporale sah den Mönch fragend an, und dieser nickte.
»Warum setzt ihr ihm gleich die Klingen an die Kehle, statt erst einmal bei mir nachzufragen, ob es so ist, wie er sagt?«, schnarrte Caporale Gualberti.
»Weil er … äh … weil er erst jetzt damit herausgerückt ist«, verteidigte sich Stülplippe mit hochrotem Kopf.
Der Caporale bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Lass den Pater durch, du Dämlack!«, zischte er.
»Ich bin in Begleitung«, sagte Pater Angelico und winkte den Novizen heran.
Caporale Gualberti nickte knapp. »Commissario Scalvetti erwartet Euch. Nein, nicht hier. Ich soll Euch zu ihm schicken. Ihr findet ihn in der Schenke Canto del Gallo, Pater. Es ist ein Stück die Straße hinunter, die Schenke liegt auf der rechten Seite.«
Pater Angelico dankte ihm und warf flüchtig einen beklommenen Blick in das ausgebrannte, halb eingestürzte Gebäude, das einst eine kleine Manufaktur sowie einen Wohntrakt beherbergt hatte. Von da, wo er stand, konnte er jedoch keine Leiche entdecken, deshalb ging er schnell weiter.
»Es war nicht ungefährlich, sich derart mit diesen brutalen Kerlen anzulegen«, raunte Bruder Bartolo, von dem Zwischenfall noch sichtlich verstört. »Das hätte böse ins Auge gehen können, Meister!«
»Ganz recht«, pflichtete Pater Angelico ihm bei. »Für die Sbirri hätte es in der Tat ein böses Ende nehmen können.«
Der Novize machte ein verblüfftes Gesicht, und zugleich argwöhnte er, dass es seinem Meister mit der Erwiderung ernst war. Denn wozu Pater Angelico, der einstige Landsknecht, noch immer imstande war, davon hatte er sich schon mit eigenen Augen überzeugen können.
11
E s war nicht weit zu der Taverne, die sich Hahnenschrei nannte und über ihrem Eingang ein bunt bemaltes Holzschild mit einem krähenden Hahn hängen hatte.
Pater Angelico stutzte, als sein Blick auf das schwarze Berberross fiel, das, an einen Eisenpfahl gebunden, im Torweg neben dem Eingang stand. Die Beine waren bis hoch an den Unterleib mit Schlamm bespritzt, das Fell an vielen Stellen stumpf von Staub, und auf den Flanken des herrlichen Tieres glänzte eine dünne Schicht Schweiß. Der Mann, der auf ihm geritten war, hatte einen weiten Weg zurückgelegt. Und bei diesem Mann handelte es sich um keinen anderen als Commissario Tiberio Scalvetti. Der prächtige Hengst, der auf den Namen Draghetto hörte, war sein Lieblingspferd und wurde ausschließlich von ihm geritten.
Der weit nach hinten durchgehende Schankraum mit der niedrigen, rauchgeschwärzten Balkendecke und den einfachen Tischen und Bänken war
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