Der Todesengel von Florenz
hatte, gnädig gestimmt gewesen wäre. Das allerdings wäre bei einem Mann, der oft bis an die Grenze des Erträglichen von Gichtanfällen gepeinigt wurde, ein wahrer Glücksfall gewesen.
»Ihr habt einen Vorgeschmack jener Leiden erhalten, die zu gewärtigen hat, wer den Geboten unseres Herrn und Erlösers zuwiderhandelt und sich über die göttlichen Gesetze stellt«, fuhr der Prior doppeldeutig fort. Dazu lächelte er gekünstelt. »Deshalb war es auch recht und billig, Euch die Zeit zu geben, die Ihr brauchtet, um Euch von den Torturen zu erholen und Eure malträtierten Glieder zu schonen. Selbst Marsilio Petrucci hatte Verständnis dafür, dass Ihr nicht sofort an die Arbeit zurückkehren konntet, sondern erst einmal Schonung brauchtet.«
»Ihr seht mich zutiefst gerührt«, murmelte Pater Angelico.
Der Prior überhörte auch diese spitze Bemerkung geflissentlich. »Aber mit der Geduld des Signore ist es vorbei. Er ist schon seit geraumer Zeit der Auffassung, dass Ihr Euch lange genug von seiner Hauskapelle ferngehalten habt, um wieder zu Kräften zu kommen und die alte Beweglichkeit zurückzuerlangen. Nun will er Fortschritte sehen, und ich kann es ihm nicht verdenken!«
Pater Angelico schnaubte. »Was weiß ein Pfeffersack wie er, der einen Pinsel nicht von einem Spachtel unterscheiden kann, schon davon, wann ich mich wieder in der Lage fühle, an einem riesigen Fresko zu arbeiten?«, entgegnete er und wusste doch, dass er seine Karten ausgereizt hatte. Es war unabänderlich. Einen weiteren Aufschub würde es nicht geben.
Wäre es nur die – gleichwohl große – Aufgabe in der Hauskapelle gewesen, der er sich im Palazzo des Marsilio Petrucci stellen musste, wie leicht wäre ihm dann der Weg in die Via Chiara gefallen! Aber dort wartete mehr auf ihn als nackte Decken und Wände, die mit Fresken versehen werden sollten. Dort erwartete ihn auch die neunzehnjährige Lucrezia, und ihr nach den Ereignissen im November wieder zu begegnen und in die verstörend ausdrucksstarken Augen zu sehen, dazu fühlte er sich ganz und gar nicht in der Lage. Vermutlich würde er das nie können, ohne dass die Schar seiner inneren Dämonen gefährlichen Zuwachs erhielt, ganz egal, wie viel Zeit er noch verstreichen ließ.
»Ihr seid gut beraten, es nicht am gebotenen Respekt fehlen zu lassen!«, wies Bandelli ihn zurecht. »Schon gar nicht gegenüber einem Mann wie Marsilio Petrucci, der über Reichtum, Macht und großen Einfluss verfügt! Wie Ihr nur zu gut wisst, zählt Lorenzo de’ Medici ihn zum Kreis seiner engsten Freunde und Vertrauten! Das Haus Medici ist der Patron von San Marco und hält seit Generationen seine schützende Hand über unser Kloster. Aber diese Hand weiß auch zu züchtigen, vergesst das nicht!«
Pater Angelico verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. »Mir scheint manchmal, dass die Persönlichkeit in unserer Zeit die Summe dessen ist, was den Dummen beeindruckt und dem Mächtigen nützlich erscheint.«
»Haltet gefälligst Eure Zunge im Zaum!«, zischte der Prior. Jetzt blitzte wieder Zorn in seinen Augen. »Es reicht! Ich verlange, dass Ihr Euch endlich wieder in dem Maß Euren Pflichten stellt, wie ich und der gesamte Konvent es erwarten können. Hört auf, mir Sand in die Augen zu streuen! Länger lasse ich mich nicht hinhalten. Ich weiß, dass Ihr längst wieder in der Lage seid, die Arbeit an den Fresken aufzunehmen!«
Pater Angelico seufzte. Der Obere hatte recht, leider, und das abzustreiten und ihn zu belügen, wäre unter seiner Würde und eine Sünde mehr gewesen, die er zu beichten hätte. Der bittere Kelch würde nicht an ihm vorübergehen!
»Ich habe Euch wirklich jede Freiheit eingeräumt, die Ihr Euch nur wünschen könnt. Und obwohl ich nicht selten den Eindruck habe, dass Ihr mein Vertrauen und meine Großzügigkeit weit über Gebühr strapaziert, um nicht zu sagen: schamlos ausnutzt, lasse ich Euch doch freie Hand«, fuhr Bandelli indessen grimmig fort. »Herr im Himmel, ich habe Euch nicht einmal gefragt, was um alles in der Welt Euch heute Nacht bei diesem Regen aus dem Kloster getrieben hat und wieso Ihr nicht pünktlich zu den Vigilien erschienen seid. Obwohl ich es doch eigentlich gern wüsste! Aber mit dem mir eigenen Gottvertrauen und meiner Großmut …«
Pater Angelico schnitt ihm das Wort ab. »So, Ihr wollt also wissen, wo ich mir die Nacht um die Ohren geschlagen habe, ja? Seid Ihr Euch dessen auch sicher?«, stieß er in seinem Groll hervor und bereute
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