Der Todesengel von Florenz
Frauenstimmen und lautes Krachen, wenn mit Steinhumpen angestoßen wurde.
Aber nicht nur diese Kakophonie umbrandete sie, sondern es umfing sie auch sofort eine Woge aus Farbgerüchen, verschüttetem Bier, Rauch, Urin, Schweiß und anderen üblen Körperausdünstungen. Sie nahm ihnen unter der tief hängenden, von Rauch geschwärzten Decke schier den Atem, und Pater Angelico hätte am liebsten auf der Stelle kehrtgemacht.
»Dignus est intrare«, raunte er, gerade laut genug, dass Scalvetti ihn noch verstehen konnte. Er ist würdig, einzutreten.
Der Commissario zog sich den Hut tiefer in die Stirn und ließ seinen Blick durch den trapezförmigen, sich nach hinten verjüngenden Raum schweifen.
»Elend und Gesindel sucht sich Gesellschaft«, gab er ebenso leise zurück. »Hier sind sie in ihrer vielfältigen menschlichen Ausprägung versammelt. Fehlt nur noch unser Tarotkartenmörder!«
Pater Angelico warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Die Hoffnung stirbt zuletzt.«
Die Zecher nahe der Tür, überwiegend in grobes bigello gekleidet, das ungefärbte Tuch der einfachen Leute, warfen ihnen neugierige Blicke zu. Doch abgerissene Landsknechte, die schon seit langem bei keinem Condottiere mehr im Sold zu stehen schienen, weckten an diesem Ort nur flüchtiges Interesse, und so wandte man sich schnell wieder dem Trinken, Spielen und Zotenerzählen zu.
Tiberio Scalvetti und Pater Angelico gingen hinüber zu der primitiven Theke, einem langen Bord aus zusammengenagelten Brettern, das von vier brusthohen Schragen getragen wurde. Dahinter standen drei schmutzige Fässer aufgebockt.
»Was soll’s sein, Männer?«, erkundigte sich der Wirt, als sie sich in eine Lücke zwischen jenen Zechern gedrängt hatten, die den Ausschank umlagerten. Der Mann war für einen Tavernenbesitzer ungewöhnlich mager, sein Gesicht trug die ausgezehrten Züge eines Hungerleiders. Was vermutlich daran lag, dass er klug genug war, nichts von dem anzurühren, was er seinen Gästen aus den Fässern einschenkte und als Essen vorsetzte.
»Branntwein«, bestellte der Commissario knapp und warf ein paar Piccioli auf die Brettertheke.
Der Hungerleider nickte, strich die Kupfermünzen mit einer Knochenhand ein, griff nach zwei steinernen Bechern und füllte sie mit Fusel. Die giftige Farbe des Gesöffs allein verriet den beiden neuen Kunden schon genug über seine wohl im wahrsten Sinne des Wortes mörderische Qualität.
Todesmutig nahmen sie einen Schluck von dem Gebräu – und mussten beide an sich halten, es nicht sofort wieder auszuspucken. Pater Angelico hatte das Gefühl, als wollten ihm von dem Fusel, der wie Terpentin schmeckte, alle Zähne aus dem Mund fallen.
»Gottseibeiuns!«, keuchte er.
Der Commissario hatte sich besser im Griff. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und machte ein Gesicht, als habe ihm ein Engel auf die Zunge gepinkelt. »Tod und Teufel, das nenne ich einen Rachenputzer! Das war’s, was uns gefehlt hat!«
»Zweifellos«, sagte Pater Angelico und machte nun auch gute Miene zum bösen Spiel. Um nicht gleich den nächsten Schluck nehmen und damit seine Gesundheit ernsthaft in Gefahr bringen zu müssen, wandte er sich halb von der Theke ab und ließ seinen Blick über die Tische wandern. Dabei fragte er sich, wer von den Gestalten, die dort saßen, Silvio Montini sein mochte. Wenn man zu jenen Einfaltspinseln gehörte, die tatsächlich meinten, einen Mörder an seiner finsteren Visage erkennen zu können, dann bot sich hier eine mehr als reichhaltige Auswahl.
Tiberio Scalvetti tat so, als trinke er noch einen Schluck, und fragte dann den Wirt beiläufig: »Sag mal, ist Silvio heute schon bei dir aufgetaucht? Silvio Montini, meine ich. Wir haben gehört, dass wir ihn heute Nacht hier antreffen.«
Der Wirt stutzte. »Was wollt ihr denn von dem?«, fragte er, nicht direkt misstrauisch, aber doch wachsam.
Der Commissario zauberte ein komplizenhaftes Grinsen auf sein Gesicht. »Nicht jedes Geschäft ist dazu bestimmt, gleich an die große Glocke gehängt zu werden, wenn du verstehst, was ich meine.«
Jemand neben Scalvetti, der den Wortwechsel mitbekommen hatte, lachte abfällig. »Was für ’n Geschäft soll denn der Silvio mit euch Landsknechten vorhaben?«
»Trink du nur weiter dein Dünnbier und kümmere dich nicht um unsere Angelegenheiten, dann geben wir auch ’nen lauen Furz auf deine, Kamerad«, beschied ihn der Commissario, ohne angriffslustig zu klingen.
Der Kerl quittierte die Antwort mit
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