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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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meinem Geschmack, Padre. Und die Kutte sehe ich Euch großzügig nach. Wir alle treffen im Leben Entscheidungen, die unserem inneren Wesen im Grunde widersprechen.«
    Die Bemerkung ließ den Dominikaner stutzen. Er warf dem Commissario einen prüfenden Blick zu und fragte sich, ob dieser schon mehr über ihn wusste, als ihm lieb sein konnte. Hatte er Kenntnis von seinen nächtlichen Besuchen im Keller des Juden oder gar von dem, was in ihm gärte, seit er Lucrezia kannte? Aber nein, das eine war so unmöglich wie das andere! Obwohl …
    Der Commissario lachte, als sei seine Bemerkung nichts weiter gewesen als ein Scherz. »Nehmt es mit Gleichmut. Nicht alle meine Worte gehören gleich auf die Goldwaage. Und nun sollten wir uns schleunigst auf den Weg machen.«
    Noch einmal musste Pater Angelico, nun halbwegs beruhigt, sich abwenden, während Scalvetti die Schließanlage der zweiten, rückwärtigen Tür betätigte.
    Wenige Augenblicke später folgte er dem Commissario durch einen langen, sich windenden Gang, der gerade breit genug war, dass ein kräftig gebauter, breitschultriger Mann ihn entlanggehen konnte und zu beiden Seiten noch ein, zwei Handbreit Platz hatte. Allerdings war er für eine so hoch aufgeschossene Gestalt wie Tiberio Scalvetti nicht geschaffen, weshalb der leicht vorgebeugt gehen musste.
    Die Luft war trocken und muffig wie in einer Gruft. Das Licht der Laterne in Scalvettis Hand glitt über uraltes Mauerwerk aus dunkelgrauem Gestein. An mehreren Stellen sah man, dass kleinere und auch größere Wandstücke zu verschiedenen Zeiten mit Steinen ausgebessert worden waren, die nicht der ursprünglich verwendeten Sorte entsprachen.
    Pater Angelico zählte seine Schritte. Als er bei zweiunddreißig angelangt war und noch immer kein Ende ausmachen konnte, sagte Scalvetti über die Schulter: »Ich nehme an, Ihr wisst, wem wir diesen unterirdischen Gang zu verdanken haben, oder?«
    »Vermutlich einem alten Adelsgeschlecht, das dort, wo jetzt das Haus mit der Colombina steht, irgendwann im zwölften oder dreizehnten Jahrhundert seinen Geschlechterturm hatte«, antwortete der Mönch.
    Als Florenz Republik geworden war und das erstarkte Bürgertum den Adel entmachtet hatte, waren viele dieser Geschlechterwohntürme per Gesetz entweder um die oberen Stockwerke mit ihrer krönenden Zinnenanlage gekürzt oder gleich ganz abgerissen worden, um modernen Palästen Platz zu machen.
    »So ist es«, sagte Scalvetti. »Die alten florentinischen Adelsfamilien waren ja oft derart verfeindet, dass sie einander erbitterte Gefechte darum lieferten, wer welche Stadtviertel beherrschte. Da war solch ein unterirdischer Fluchtweg für den Fall einer Niederlage natürlich eine nützliche, um nicht zu sagen: notwendige Einrichtung.«
    »Wie können wir uns doch glücklich schätzen, dass es solche blutigen inneren Kämpfe nicht mehr gibt und wir in paradiesisch friedvollen Zeiten leben«, bemerkte Pater Angelico. In Wahrheit hatte sich natürlich wenig geändert, auch wenn es in neuerer Zeit nicht mehr die Adelsfamilien waren, die in Florenz um die Macht rangen und einander blutige Straßenkämpfe lieferten. Das letzte derartige Gefecht, das die Anhänger der Medici mit den Parteigängern der Pazzi ausgefochten hatten und in dem auf beiden Seiten viele umgekommen waren, lag gerade einmal ein Dutzend Jahre zurück.
    »Ja, bei uns in Florenz schläft das Lamm am Busen des Löwen und liegt die Schlange einträchtig neben dem Hasen«, pflichtete Scalvetti ihm mit beißendem Spott bei. »Da fragt man sich manchmal schon, wozu die Kommune noch eine Otto di Guardia braucht.«
    Pater Angelico begann erneut, Schritte zu zählen. Als zu ihrer bisherigen Wegstrecke noch einundvierzig weitere hinzugekommen waren, gelangten sie schließlich an den vergitterten Fuß einer kleinen Steintreppe, die so schmal war wie der Tunnel. Das Gitter ließ sich mit einem Schlüssel öffnen. Dann ging es in einen gewöhnlichen Keller mit allerlei Gerümpel und von dort über eine weitere Treppe hinauf in einen Hausflur. Von da führte Scalvetti den Mönch in einen zur Straße hin gelegenen Raum, der wie die schlichte Schreibstube eines Kontors eingerichtet war; einen Raum, wie es in Florenz wohl einige Hunderte gab. Als sie die Schreibstube verließen und hinaus auf die Straße traten, fiel Pater Angelico sofort ein mächtiger schwarzer Schatten ins Auge. Schräg rechts von ihnen ragte der Turm des Franziskanerklosters Santa Croce majestätisch in den Himmel.

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