Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todeskanal

Der Todeskanal

Titel: Der Todeskanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Asimov
Vom Netzwerk:
Schwächen aufzudecken, ihre Dummheit bloßzustellen. Ich mußte alles tun, um mir selbst zu beweisen, daß die anderen Menschen nichts hatten, um das ich sie zu beneiden hätte.«
    »Es ist nicht nötig, daß Sie mir das erklären.«
    »Doch!« Er sehnte sich danach, seine Gedanken in Worte zu fassen. »Vor Jahren schon habe ich die Hoffnung aufgegeben, nur eine Spur von Anständigkeit in den Menschen zu finden. Und dann kamen Sie und kletterten in den T-Kanal.«
    »Sie müssen wissen, daß ich von praktischen und selbstsüchtigen Überlegungen geleitet wurde«, sagte Mullen. »Ich will nicht, daß Sie mich als Helden hinstellen.«
    »Das war auch nicht meine Absicht. Ich weiß, daß Sie nichts ohne besondere Veranlassung tun würden. Doch Ihre Tat hat eine merkwürdige Wirkung auf uns alle gehabt. Sie hat eine Ansammlung Egoisten und Narren in anständige Leute verwandelt. Und keineswegs durch Zauberei. An sich waren sie alle anständig. Es bedurfte nur eines Anstoßes, um diese Anständigkeit wieder zu wecken. Und das war Ihr Werk. Und – ich bin einer von ihnen. Ich muß Ihnen dankbar sein, Mullen. Für den ganzen Rest meines Lebens.«
    Mullen wandte sich unbehaglich ab. Seine Hand strich seinen Jackenärmel glatt, der ohnehin nicht verdrückt war. Dann fuhr sein Finger über die Erdkarte.
    »Ich bin in Richmond geboren, Virginia. Da ist es. Dorthin werde ich zuerst gehen. Wo sind Sie geboren?«
    »In Toronto.«
    »Das ist hier. Auf der Landkarte ist das gar keine Entfernung.«
    »Würden Sie mir eine Frage beantworten?«
    »Wenn ich kann.«
    »Warum haben Sie es getan?«
    Mullen verzog die zierlichen Lippen. Er erwiderte trocken: »Und wenn meine ziemlich prosaischen Gründe den erhebenden Effekt zunichte machen würden?«
    »Nennen Sie es intellektuelle Neugier. Jeder von uns hatte ganz offensichtliche Motive. Porter erschreckte die Aussicht auf lange Gefangenschaft zu Tode. Leblanc wollte seine Braut wiedersehen. Polyorketes wollte Kloros umbringen. Und Windham war ein Patriot, so gut er es eben verstand. Was mich betrifft, so hielt ich mich für einen edlen Idealisten, fürchte ich. Aber in keinem von uns waren die Motive stark genug, uns hinaus in das All zu treiben. Was hat ausgerechnet Sie dazu veranlaßt?«
    »Warum betonen Sie das so? ausgerechnet ich‹ …«
    »Seien Sie nicht beleidigt, aber Sie schienen keinerlei Gefühle zu besitzen.«
    »Tatsächlich?« Mullens Tonfall änderte sich nicht. Seine Stimme klang trocken und leise wie zuvor, und doch hatte sie irgendwie an Festigkeit gewonnen. »Das ist nur Training, Mr. Stuart, Selbstdisziplin. Nicht meine wahre Natur. Ein kleiner Mann kann keine respektablen Gefühle haben. Gibt es etwas Lächerlicheres, als einen kleinen Mann, der sich wütend aufspielt? Ich bin fünf Fuß und einen halben Zoll groß und wiege einhundertundzwei Pfund.
    Kann ich würdevoll sein? Stolz? Kann ich mich zu meiner vollen Größe erheben, ohne Gelächter hervorzurufen? Wo ist die Frau, die mich nicht sofort kichernd abweisen würde? Natürlich mußte ich lernen, auf die äußere Zurschaustellung meiner Gefühle zu verzichten.
    Sie sprachen von Deformationen. Kein Mensch würde Ihre Hände bemerken oder feststellen, daß sie anders sind als andere Hände, wenn Sie nicht allen Leuten, denen Sie begegnen, sofort eifrigst alles über Ihre Hände erzählen würden. Glauben Sie, daß die acht Zoll, die mir fehlen, verborgen bleiben? Daß das nicht die erste und in vielen Fällen auch die einzige Besonderheit ist, die die Leute an meiner Person bemerken?«
    Stuart schämte sich. Er war in die Intimsphäre dieses Mannes eingedrungen, und das hätte er nicht tun dürfen.
    »Es tut mir leid«, sagte er.
    »Warum?«
    »Ich hätte Sie nicht veranlassen dürfen, darüber zu sprechen. Ich hätte von selbst merken müssen, daß Sie – daß Sie …«
    »Daß ich was? Daß ich meinen Wert beweisen muß? Daß ich den anderen zeigen will: Seht her, obwohl ich so klein bin, habe ich den Mut eines Riesen?«
    »Ich würde es nicht auf diese spöttische Art ausdrücken.«
    »Warum nicht? Es ist Unsinn. Nein, solche Gründe haben mich nicht zu meiner Tat veranlaßt. Was würde ich gewinnen, wenn es tatsächlich so wäre? Sie bringen mich auf die Erde zurück, stellen mich vor die Fernsehkameras – natürlich nehmen sie nur mein Gesicht auf oder stellen mich auf einen Stuhl. Dann hängen sie mir Orden um den Hals …«
    »Wahrscheinlich werden sie das alles tun.«
    »Und was habe ich davon?

Weitere Kostenlose Bücher