Der Todeskanal
›Dabei ist er so ein kleiner Kerl‹, würden sie sagen. Und danach? Soll ich jedem Mann, dem ich begegne, sagen: ›Wissen Sie, ich bin der Bursche, den Sie im vergangenen Monat für unglaubliche Tapferkeit dekoriert haben?‹ Wieviele Medaillen, glauben Sie, würde ich denn brauchen, um die fehlenden acht Zoll und sechzig Pfund aufzuwiegen?«
»Wenn Sie es so ausdrücken, verstehe ich Ihren Standpunkt.«
Mullen sprach jetzt etwas schneller. Eine kontrollierte Hitzigkeit war in seine Worte gedrungen.
»Es gab Tage, da dachte ich: Ich werde es ihnen zeigen. Und dieses mysteriöse ›ihnen‹ umschloß die ganze Erde. Ich wollte die Erde verlassen und mir meinen Weg in andere Welten bahnen. Ich wollte ein neuer und noch kleinerer Napoleon sein. Also ließ ich die Erde hinter mir und ging in das Arkturische System. Und was konnte ich auf den Arkturischen Planeten tun, das ich auf der Erde nicht auch hätte tun können? Nichts. Ich arbeitete in der Buchhaltung. Und jetzt habe ich meinen eitlen Drang, mich auf die Zehenspitzen zu stellen, längst überwunden, Mr. Stuart.«
»Aber warum haben Sie es dann getan?«
»Ich war achtundzwanzig Jahre alt, als ich die Erde verließ und in das Arkturische System kam. Seither bin ich nie mehr auf der Erde gewesen. Dieser Trip sollte nach langer Zeit mein erster Ausflug auf die Erde sein. Ich wollte sechs Monate bleiben. Statt dessen nahmen sie uns gefangen. Sie hätten uns endlos lang festhalten können. Aber ich konnte – ich konnte es nicht zulassen, daß sie mich daran hinderten, zur Erde zu reisen. Welches Risiko das auch immer für mich bedeuten mochte, ich mußte die Absichten der Kloros vereiteln. Es war nicht Liebe zu einer Frau oder Angst oder Haß oder irgendeine Art von Idealismus. Es war stärker als all das.« Mullen streckte eine Hand aus, als wolle er zärtlich über die Erdkarte an der Wand streichen. Dann fragte er ruhig: »Mr. Stuart, hatten Sie schon jemals Heimweh?«
Die Geschichte eines Helden
Die Leser fragen sich immer wieder, ob die Meinungen der Personen in einer Erzählung mit den Meinungen des Autors übereinstimmen. Die Antwort lautet: »Nicht notwendigerweise …«, aber man sollte noch hinzufügen: »Aber meistens …«
Wenn ich eine Erzählung schreibe, in der gegensätzliche Charaktere gegensätzliche Meinungen vertreten, so bemühe ich mich nach Kräften, jede Person ihre Meinung ehrlich ausdrücken zu lassen.
Es gibt wenig Menschen, die mit Richard III. sagen: »Und darum, weil ich nicht als ein Verliebter kann kürzen diese fein beredten Tage, bin ich gewillt, ein Bösewicht zu sein.«
Mag Tom dem Dick auch noch so schurkisch erscheinen, Tom hat zweifellos Argumente aufzuweisen, die er ernsthaft vertritt, um sich selbst zu beweisen, daß er gar nicht schurkisch ist. Deshalb ist es lächerlich, einen Schurken ostentativ schurkisch agieren zu lassen. (Außer man besitzt den Genius Shakespeares und kann sich nahezu alles leisten. Aber ich fürchte, das trifft auf mich nicht zu.)
Trotzdem, so sehr ich mich auch bemühe, fair zu sein und den Standpunkt jeder Person ernsthaft zu präsentieren, auch wenn er mit dem meinen nicht übereinstimmt, so kann ich Meinungen, die ich nicht vertrete, nicht mit derselben Überzeugungskraft darstellen wie solche, die auch die meinen sind. Außerdem enden meine Erzählungen stets so, wie es mir persönlich gefällt. Die Person, die mir sympathisch ist, siegt immer. Auch wenn das Ende traurig ist, ist die Tendenz der Erzählung (ich hasse das Wort ›Moral‹) stets so angelegt, daß sie mich befriedigt.
Wenn Sie die feinen Details meiner Erzählungen übergehen und sie in ihrer Ganzheit betrachten, so glaube ich, daß das Gefühl, das jede einzelne Erzählung in Ihnen weckt, identisch mit meinem Gefühl ist, das ich in diese Erzählung gelegt habe. Das ist keine Persönlichkeitspropaganda. Ich bin eben einfach ein Mensch mit ganz bestimmten Gefühlen und kann es nicht verhindern, daß diese Gefühle in meine Erzählungen einströmen.
1951 plante der Anthologe Raymond J. Healy eine Sammlung von Science-Fiction-Erzählungen und bat mich, eine für ihn zu schreiben. Er stellte mir nur eine Bedingung. Er wollte eine Geschichte mit ›Happy-End‹.
Also schrieb ich eine Erzählung mit ›Happy-End‹. Da ich aber stets danach strebe, die Wege der Routine zu verlassen, versuchte ich, eine Erzählung mit unerwartetem ›Happy-End‹ zustande zu bringen, eine Erzählung, in der der Leser erst ganz
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