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Der Todeskanal

Der Todeskanal

Titel: Der Todeskanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Asimov
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gehört nicht hierher. Ich bin froh, wenn ich die Verantwortung für ihn los bin.«
    »Wir werden ihn in seiner Zelle aufsuchen«, sagte Darrity.
    Sie gingen den engen, von Eisengittern gesäumten Korridor entlang. Leere, desinteressierte Augen beobachteten sie, als sie an den Zellen vorbeikamen. Ein Schauder lief Dr. Grant über den Rücken.
    »War er die ganze Zeit hier?«
    Darrity antwortete nicht. Der Wärter, der ihnen vorausging, blieb stehen.
    »Hier ist die Zelle.«
    »Ist das Ralson?« fragte Darrity.
    Dr. Grant betrachtete schweigend die Gestalt, die auf der Pritsche lag. Als der Mann merkte, daß jemand vor seiner Zelle stand, richtete er sich auf, stützte sich auf einen Ellbogen und sah so aus, als würde er am liebsten im Erdboden versinken. Sein Haar war sandfarben und schütter. Sein Körper war schmächtig, und seine blanken Augen glänzten wie blaues Porzellan. Auf seiner rechten Wange war ein kaulquappenförmiger rosa Fleck.
    »Das ist Ralson«, sagte Grant.
    Der Wärter öffnete die Zellentür und trat ein, aber Inspektor Darrity bedeutete ihm mit einer Handbewegung, sich zu entfernen. Ralson beobachtete die Männer stumm. Er zog die Beine an und drückte sich an die Wand. Sein Adamsapfel zitterte, als er schluckte.
    »Dr. Elwood Ralson?« fragte Darrity ruhig.
    »Was wollen Sie?« Die Stimme klang überraschend baritonal.
    »Würden Sie uns bitte folgen? Wir haben Ihnen einige Fragen zu stellen.«
    »Nein. Lassen Sie mich allein.«
    »Dr. Ralson«, sagte Grant. »Ich wurde zu Ihnen geschickt, um Sie zu bitten, Ihre Arbeit wieder aufzunehmen.«
    Ralson blickte den Wissenschaftler an, und sekundenlang blitzte etwas anderes als Furcht in seinen Augen auf.
    »Hallo, Grant«, sagte er und erhob sich von der Pritsche. »Hören Sie, ich bat die Leute, sie möchten mich in eine Gummizelle stecken. Sie kennen mich, Grant. Sie wissen, daß ich nichts verlange, von dem ich nicht überzeugt bin, daß es notwendig ist. Helfen Sie mir. Ich kann diese harten Mauern nicht ertragen. Immerzu will ich mich dagegenwerfen …« Er schlug mit der flachen Hand gegen den schmutziggrauen Beton hinter der Pritsche.
    Darrity betrachtete ihn nachdenklich. Er zog sein Taschenmesser aus der Hosentasche und ließ die blanke Klinge herausschnappen. Sorgfältig kratzte er damit an seinem Daumennagel und fragte: »Wollen Sie mit einem Arzt sprechen?«
    Aber Ralson gab keine Antwort darauf. Seine Augen folgten dem glänzenden Metall, seine Lippen öffneten sich und wurden feucht. Sein Atem ging stoßweise.
    »Stecken Sie das weg!« sagte er.
    »Was soll ich wegstecken?« fragte Darrity nach einer kleinen Pause.
    »Das Messer. Ich kann den Anblick nicht ertragen.«
    »Warum nicht?« Darrity streckte das Messer aus. »Stimmt etwas nicht damit? Es ist ein gutes Messer.«
    Ralson sprang vor. Darrity trat zurück, und seine linke Hand umspannte Ralsons Handgelenk. Er hob das Messer hoch.
    »Was ist los, Ralson? Was haben Sie?«
    Grant protestierte, aber Darrity schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.
    »Was wollen Sie, Ralson?«
    Ralson streckte die freie Hand nach dem Messer aus und krümmte sich unter dem eisernen Griff des Inspektors.
    »Geben Sie mir das Messer«, keuchte er.
    »Warum, Ralson? Was wollen Sie damit tun?«
    »Bitte. Ich muß …« Seine Stimme klang flehentlich. »Ich kann nicht mehr leben.«
    »Sie wollen sterben?«
    »Nein. Aber ich muß.«
    Darrity versetzte ihm einen Stoß. Ralson taumelte zurück und sank auf die Pritsche, die einen quietschenden Laut von sich gab. Langsam klappte Darrity das Taschenmesser zusammen und steckte es ein. Ralson vergrub das Gesicht in den Händen. Er saß reglos da, nur seine Schultern zuckten.
    Rufe klangen vom Korridor herein. Die anderen Häftlinge waren auf den Lärm in Ralsons Zelle aufmerksam geworden. Der Wärter eilte herbei.
    »Ruhe!« brüllte er und entfernte sich dann wieder.
    »Es ist alles in Ordnung«, sagte der Inspektor zu ihm. Er wischte seine Hände mit einem großen weißen Taschentuch ab. »Ich glaube, wir sollten einen Arzt holen.«
     
    Dr. Gottfried Blaustein war klein und dunkelhäutig und sprach mit kaum merklichem österreichischem Akzent. Es fehlte ihm nur noch ein Ziegenbart, und er hätte für jeden Laien die vollendete Karikatur eines Psychiaters abgegeben. Aber er war glattrasiert und sehr sorgfältig gekleidet. Er musterte Grant aufmerksam und abschätzend, fügte verschiedene kleine Beobachtungen zu einem Gesamtbild. Das tat er automatisch

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