Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
ausleben wollte, mutiert zu einer perversen Lust.
Es ist viel besser, der mit der Peitsche zu sein, als der, dergeschlagen wird. So viel besser, dass es sich nach einer Weile gut anfühlt. Richtig großartig. Sobald ein Mensch in diese Falle tappt, verschwimmt die Grenze, und der Weg zurück ist kaum mehr unmöglich.
Es würde die Widersprüche an den Tatorten erklären. Die Blutmalereien und die Erregung versus die gelassene, kühle, gemessene Art eines Mannes, der nach einem Plan vorgeht.
»Also gefällt es ihm inzwischen«, sage ich.
»Ich vermute, er braucht es«, erwidert James. »Und das Beste ist: Er kann sein Verhalten vor sich selbst rechtfertigen. Die alte Phrase – der Zweck heiligt die Mittel. Er ist besessen davon, die Schuldigen zu bestrafen. Und wenn dabei Unschuldige zu Schaden kommen, ist es ein bedauerliches Missgeschick und nicht zu ändern.« James zuckt die Schultern. »Und sieh dir Sarah an. Er liebt es, was er ihr angetan hat. Es treibt ihn an. Er ist süchtig danach. Jede Wette, dass seine Kreativität weiter reicht, sodass es noch mehr Opfer gibt. Wenn wir an der Oberfläche kratzen, werden wir vermutlich weitere einfallsreiche Morde finden. Allesamt Variationen eines Themas: Schmerz.«
Was James sagt, ist nicht bewiesen und für den Moment auch nicht zu beweisen. Doch es fühlt sich richtig an. Es bewegt etwas in mir, lässt es an eine bestimmte Stelle gleiten. Der Künstler ist nicht wahnsinnig. Er weiß genau, was er tut und warum, und seine Opfer sind nicht alle vom gleichen Typ, sondern haben irgendetwas mit seiner Vergangenheit zu tun. Aber – und das ist ein großes Aber – er ist inzwischen süchtig nach dem, was er tut. Mord ist jetzt keine Vergeltung mehr für erlittenes Unrecht, sondern eine sexuelle Handlung.
»Zwei Dinge«, sage ich. »Die Änderung in seinem Verhalten, und welches Ende er für Sarah geplant hat. Wie siehst du das?«
James erwidert: »Ich mache mir größere Sorgen wegen der Veränderung in seinem Verhalten. Ich kann nachvollziehen, weshalb er seine Taten der Öffentlichkeit präsentiert, welcheGründe dahinterstehen. Es geht Hand in Hand mit seinem Rachemotiv. Es reicht ihm nicht, dass seinen Opfern die gerechte Strafe zuteil wird, er will auch, dass die Welt den Grund dafür erfährt.«
»Verstehe.«
»Und er hat die Veränderungen bemerkt, die in ihm vorgehen. Ich nehme an, sein ursprünglicher Plan beinhaltet, dass er irgendwann geschnappt wird und in einem großen Feuerwerk untergeht, sodass die ganze Welt seine Geschichte erfährt. Doch jetzt hat er herausgefunden, dass es ihm Freude macht, Menschen zu töten. Wenn er stirbt, kann er nicht weitermachen. Und seine Sucht ist zu stark, um einfach davon abzulassen.«
»Wenn er nicht geschnappt werden will, hatte er reichlich Zeit, sich einen Fluchtplan auszudenken.«
»Genau. Wahrscheinlich besteht seine ursprüngliche Absicht immer noch. Er will, dass alles herauskommt. Er will die Sünder und ihre Sünden bloßstellen. Doch er würde es vorziehen, ungeschoren davonzukommen. Möglicherweise mit der Begründung, seine ›Arbeit‹ fortführen zu können. Schließlich gibt es noch jede Menge anderer Sünder auf Erden.«
»Wir müssen vorsichtig sein«, entgegne ich. »Irgendwann wird er versuchen, uns an der Nase herumzuführen. Wir müssen auf der Hut sein und unsere Schlussfolgerungen ständig hinterfragen.«
»So ist es.«
Ich seufze. »Okay. Was ist mit Sarah? Bringt er sie am Ende um? Oder lebt sie weiter?«
James denkt darüber nach, während er an die Decke starrt. »Ich würde sagen, dass alles davon abhängt, wie erfolgreich er sein Ziel verwirklichen kann, sie nach seinem Ebenbild zu formen, und wie sehr er sich mit dem Ergebnis identifiziert. Ist sie wirklich wie er? Falls ja, lässt er sie leben und leiden? Oder tötet er sie gewissermaßen aus Gnade? Ich bin nicht sicher.«
»Ich sorge dafür, dass sie Personenschutz erhält.«
»Das wäre zu empfehlen.«
Ich klopfe mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. »Nehmen wir das Video von Vargas, das Motiv und die Narben an seinen Füßen. Ich leite daraus ab, dass der Künstler ein Opfer kommerziellen Menschenhandels und in der Folge von schweren körperlichen Misshandlungen und sexuellem Missbrauch war, und zwar über einen langen Zeitraum. Heute, als Erwachsener, ist er voller Hass und setzt alles daran, die Dinge zurechtzurücken … sozusagen.«
James zuckt die Schultern. »Hört sich plausibel an. Ich nehme an, dass einiges
Weitere Kostenlose Bücher