Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
davon zutrifft. Es ist eine Schande, eine verdammte Schande.«
»Was?«
»Du hast die kleine Russin gesehen. Sie war innerlich zerbrochen. Nichts mehr übrig, keine Seele. Unser Täter jedoch ist nicht zerbrochen, im Gegenteil. Und das bedeutet, dass er als starke Persönlichkeit angefangen hat. Er war ein starker Charakter.«
»Ja.«
»Das ist noch eine Sache«, sagt James. »Du hattest mich gefragt, ob es noch etwas Relevantes in Sarahs Tagebuch gibt. Allem Anschein nach ist das meiste von dem, was sie geschrieben hat, die Wahrheit, zumindest ihre Version davon. Allerdings …«
»Warte. Wieso glaubst du das?«
»Schlichte Logik. Wir akzeptieren es als Tatsache, dass Sarah Langstrom die Kingsleys nicht ermordet hat, nicht wahr? Dieses Mädchen hat die letzten Monate damit verbracht, über einen Irren zu schreiben, der Menschen in ihrer Umgebung umbringt, und dann passiert es tatsächlich? Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Zufall eintritt, ist verschwindend gering. Im Hinblick auf die Kingsley-Morde ergibt Sarahs Geschichte nur dann einen Sinn, wenn zumindest ein Teil davon wahr ist – es sei denn, sie kann in die Zukunft blicken.«
Ich blinzle. »Stimmt. Das ergibt Sinn. Was wolltest du sagen?«
»Ich wollte sagen, dass ich den größten Teil ihrer Geschichte glaube, aber es fehlt etwas. Ich kann nicht genau sagen was, aber irgendetwas, irgendein Aspekt ihrer Geschichte stört mich.«
»Du meinst, sie verschweigt uns etwas? Oder sie lügt?«
Er seufzt. »Das kann ich nicht sagen. Es ist nur so ein Gefühl. Ich werde das Tagebuch noch einmal lesen. Wenn ich dahinterkomme, was mich stört, sag ich dir Bescheid.«
»Du solltest dich auf dein Gefühl verlassen, James.«
Er steht auf, um zu gehen. An der Tür bleibt er stehen und dreht sich zu mir um.
»Hast du eigentlich schon herausgefunden, was Sarah für uns ist?«
Ich runzle die Stirn. »Wie meinst du das?«
»Was Sarah für uns darstellt. Wir wissen, wie der Künstler sie sieht – als seine Skulptur. Seine Schöpfung, erschaffen aus Schmerz zum Zweck der Rache. Doch für uns bedeutet sie ebenfalls etwas. Das ist mir gestern Nacht klar geworden. Ich habe mich gefragt, ob du es auch schon erkannt hast.«
Ich blicke ihn an, während ich nach einer Antwort suche.
»Tut mir leid«, sage ich schließlich. »Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Sie ist jedes Opfer , Smoky. Du liest ihre Geschichte, und dann siehst du mit einem Mal, dass sie jedes Opfer ist, das wir nicht retten konnten. Ich denke, der Künstler weiß das. Deswegen hält er sie uns vor die Nase. Gerade so weit, dass wir sie nicht erreichen können – und dann lässt er uns zusehen, wie sie schreit.«
Er geht hinaus. Ich bin sprachlos.
Er hat recht, das sehe ich. Es passt zu meinem eigenen Gefühl.
Ich bin nur überrascht, dass James, ausgerechnet James, es herausgefunden hat.
Dann fällt mir James’ Schwester ein, und seine Worte kommen mir in den Sinn, und ich überlege, wie tief seine Empfindungen reichen müssen, um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen. Seine Schwester Rosa war ein Opfer, das James nicht retten konnte.
Ist das der Grund, warum James immer so unnahbar ist, so mürrisch? Weil er nicht aufhören kann, über den Tod seiner Schwester nachzudenken?
Schon möglich.
Wie dem auch sei, er hat recht, und deshalb müssen wir noch viel vorsichtiger zu Werke gehen.
Sarah ist nicht nur die Rache des Künstlers – sie ist zugleich sein köder.
KAPITEL 32
»Ich gehe zu AD Jones«, sage ich zu Callie, als ich aus meinem Büro komme. »Ich möchte, dass du mich begleitest.«
»Warum?«
»Der Menschenhändler-Fall. Er hatte damit zu tun.«
»Im Ernst?«
»Großes Ehrenwort.«
Ich bin wieder in dem fensterlosen Büro und sitze zusammen mit Callie vor jenem grauen Megalithen, den Jones einen Schreibtisch nennt.
»Erzählen Sie mir von diesem Fall«, sagt AD Jones ohne Vorwort. »Erzählen Sie mir insbesondere, was Sie bis jetzt über diesen José Vargas herausgefunden haben.«
Ich berichte in knappen Worten, was sich bis zum jetzigen Zeitpunkt ereignet hat. Als ich fertig bin, lehnt Jones sich zurück und blickt mich an, während er mit den Fingern auf der Sessellehne trommelt.
»Sie meinen also, dieser sogenannte Künstler ist ein missbrauchtes Kind aus Vargas’ Vergangenheit?«
»Das ist unsere derzeitige Arbeitstheorie, Sir«, sage ich.
»Eine gute Theorie. Die Narben auf den Fußsohlen des Killers und dieses russischen Mädchens habe ich schon einmal
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