Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
würde, aber ich bin mitten in einer Sache.«
»Ich weiß.« Ich frage nicht, was für eine »Sache« das ist. Tommys Untertreibungen sind eine Form von Kunst. Gut möglich, dass er mit mir telefoniert, während er in seinem Wagen sitzt, von Killern umzingelt.
»Hast du keine eigenen Leute dafür?«, fragt er.
»Nur für allgemeine Observation. Ich brauche aber einen richtigen Bodyguard, rund um die Uhr. Ich hole die Genehmigung von meinem Chef ein. Das FBI zahlt deine Rechnung.«
»Verstanden. Okay, ich habe jemanden. Eine Frau. Sie hat wirklich was drauf.«
Ich spüre, wie er zögert.
»Aber?«, frage ich.
»Es sind nur Gerüchte.«
»Und was für welche?«
»Dass sie ein paar Jahre damit verbracht hat, Leute aus dem Weg zu räumen.«
Ich muss schlucken.
»Was für Leute?«, frage ich dann.
»Personen, die die Regierung der Vereinigten Staaten aus dem Weg geräumt haben will … angeblich. Wenn du glaubst, dass es so etwas gibt.«
Ich muss das verdauen.
»Was hältst du von ihr, Tommy?«
»Sie ist loyal, und sie ist absolut tödlich. Du kannst ihr vertrauen.«
Ich reibe mir die Augen, während ich nachdenke. Schließlich seufze ich. »Okay. Gib ihr meine Nummer.«
»Mach ich.«
»Du kennst ziemlich interessante Leute, Tommy.«
»Genau wie du.«
Ich muss wieder lächeln. »Ja. Genau wie ich.«
»Ich muss jetzt auflegen.«
»Ich weiß, ich weiß. Du bist mitten in einer Sache. Wir reden später.«
Er legt auf. Ich bleibe für einen Moment sitzen, während ich mich frage, wie ich mir jemanden vorstellen muss, den Tommy als »loyal und absolut tödlich« beschreibt. Ein klopfen an der Tür reißt mich aus meinen Gedanken.
James steckt den Kopf ins Zimmer.
»Bist du so weit?«, fragt er.
Ich blicke auf die Uhr an der Wand. AD Jones kann noch eine Weile warten, schätze ich.
»Sicher. Reden wir über den Künstler.«
KAPITEL 31
James und ich sitzen in meinem Büro, hinter verschlossenen Türen.
Nur du und ich, mein unliebenswürdiger Freund.
James, der misanthropische James, besitzt die gleiche Gabe wie ich. Sein Mangel an Takt, sein rüdes Benehmen – James ist ein Arschloch durch und durch –, nichts von alledem zählt, wenn wir zusammenhocken und uns in das Böse versetzen. James sieht es wie ich. Er hört und spürt und begreift.
»Du bist im Vorteil, James«, sage ich. »Du hast das Tagebuch zu Ende gelesen. Hast du auch die Notizen gelesen, die ich dir gefaxt habe?«
»Ja.«
»Sag mir, was du denkst.«
Er starrt auf eine Stelle an der Wand über meinem Kopf.
»Ich glaube, das Rache-Motiv ist zutreffend. Das Video mit Vargas, die Botschaften an den Wänden – insbesondere die Anspielungen auf Gerechtigkeit –, das alles passt. Was ichallerdings beim Lesen des Tagebuchs gespürt habe: Der Killer hat angefangen, seine Paradigmen zu vermischen.«
»Rede so, dass ich es verstehe, James.«
»Der ursprüngliche Zweck ist Rache, vollkommen zielgerichtet, ohne Abschweifung. Er war das Opfer von schlechten Menschen. Er verübt Rache gegen jene, die dafür verantwortlich sind – oder in Sarahs Fall, wie wir vermuten, gegen die Nachkommen der Verantwortlichen. Das ist die Spur, der wir folgen, und ich denke, dass es Früchte tragen wird.« Er lehnt sich im Sessel zurück. »Doch werfen wir einen Blick auf die Art und Weise, wie er seine Gerechtigkeit austeilt.«
»Schmerz.«
James lächelt, was selten geschieht. »Stimmt. Am Ende wartet stets der Tod, ohne Ausnahme. Wie schnell seine Opfer sterben … nun, es hängt davon ab, wie viel Schmerz sie seiner Meinung nach verdient haben. Er ist besessen von diesem Thema. Ich denke, er hat die Grenze überschritten und empfindet inzwischen wirkliche Freude beim Zufügen von Schmerz.«
Ich denke darüber nach. Das Verhalten, das James beschreibt, ist leider allzu verbreitet. Die Missbrauchten werden zu Missbrauchern. Vergewaltige ein Kind, und du erhöhst die Wahrscheinlichkeit, dass es als Erwachsener selbst ein Vergewaltiger wird. Gewalt ist etwas Ansteckendes.
Ich stelle mir den Künstler vor, auf den Knien, wie das arme blonde Mädchen in dem Videoclip, während irgendein Mistkerl ihm geifernd auf die Fußsohlen schlägt, wieder und wieder.
Schmerz.
Er wächst auf, bis zum Bersten voller Wut, und eines Tages beschließt er, dass es an der Zeit ist, die Rechnung zu begleichen. Er entwirft einen Plan, und alles verläuft genauso, wie er es sich vorgestellt hat – bis irgendwann unterwegs ein Schalter umgelegt wird. Die Wut, die er
Weitere Kostenlose Bücher