Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
umsehen kann.
Der Fall gehört offiziell noch nicht uns, aber ich bin nicht bereit, einfach wegzufahren.
»Ich glaube, es wird spät«, sage ich zu Alan. »könntest du Elaina fragen, ob sie Bonnie für die Nacht zu sich nimmt?«
»Kein Problem.«
»Sag ihr, ich melde mich morgen.«
Alan hält sich das Handy wieder ans Ohr und geht davon, während er die Neuigkeiten weitergibt.
»Was ist mit mir?«, fragt Callie.
Ich lächle müde. »Du musst im Urlaub arbeiten, genau wie ich. Wir treffen uns mit Barry und besprechen, wie es weitergeht.« Ich zucke die Schultern. »Und dann werden wir sehen. Vielleicht machen wir weiter Urlaub, vielleicht auch nicht.«
Sie stößt einen dramatischen Seufzer aus. »Sklaventreiberin. Ich will eine Gehaltserhöhung.«
Alan kommt zu uns zurück. »Bonnie ist in guten Händen«, sagt er. »Wie geht’s jetzt weiter?«
Es wird Zeit, dass ich das Kommando übernehme. Das ist schließlich meine vorrangige Funktion. Ich leite ein Team von Koryphäen, von denen jeder ein Spezialgebiet hat, auf dem er nahezu unschlagbar ist. Callie ist ein Star auf dem Gebiet der Forensik. Alan ist eine Legende im Vernehmungszimmer, und er ist der Beste, wenn es darum geht, sich in einer Gegend umzuhören. Er übersieht nicht das kleinste Detail. Leute wie Alan und Callie folgen einem nicht, weil sie einen mögen. Sie folgen dir nur, wenn sie dich respektieren.
Meine Spezialität ist das Verständnis der Leute, die wir jagen. Ich kann mich bis zu einem gewissen Grad in sie einfühlen. Wie ich das mache? Indem ich einen Tatort sehe , nicht nur ansehe. Jeder kann sich den Schauplatz eines Mordes anschauen, und die Leiche. Die Rekonstruktion der Tat, das ist die Kunst. Warum dieser Tote? Warum gerade hier? Was sagt das über den Killer aus? Manche sind begabt, wenn es um die Beantwortung solcher Fragen geht, manche sind sehr begabt, und manche sind begnadet. So wie ich.
Viele Leute glauben, einen Serienkiller zu verstehen , weil sie sich Spielfilme über Massenmörder anschauen oder Thriller lesen. Sie reden über psychopathische Sexualität und was weiß ich. Diese Leute verfehlen den entscheidenden Punkt um eine Meile.
Ich habe einmal versucht, das in einem Vortrag vor einer Gruppe aufgeweckter junger FBI-Anwärter zu erklären. Ich erzählte ihnen von einem berüchtigten Fall in New Mexico. Ein Mann und seine Freundin hatten seit Jahren Frauen gejagt und entführt. Sie schleppten ihre Opfer in einen speziell präparierten Raum, angefüllt mit käfigen und Folterinstrumenten, und verbrachten Tage damit, sie zu vergewaltigen und zu quälen. Das Meiste von dem, was sie taten, nahmen sie auf Video auf. Eines ihrer Lieblingsinstrumente war ein Viehstock, der Stromschläge austeilt, die sogar mühelos einen Ochsen in die Knie zwingen.
»Es gibt Videoaufzeichnungen«, sagte ich, »auf denen man sehen kann, wie Rauch aus der Vagina einer jungen Frau aufsteigt, weil die Täter einen Viehstock benutzten, um sie damit zu penetrieren.«
Allein diese Information – und es gibt viel Schlimmeres und Abgründigeres – reichte aus, dass alle verstummten und einige der jungen Gesichter weiß wurden.
»Einer unserer Agenten, eine junge Frau, hatte die Aufgabe, detaillierte Zeichnungen der Peitschen, Ketten, Sägen und der anderen Perversitäten und Sexspielzeuge anzufertigen, die das Paar in seiner Folterkammer an den entführten Frauen ausprobiert hatte. Die Agentin erledigte ihren Job. Sie brauchte vier Tage. Ich habe die Zeichnungen gesehen, sie waren gut. Sie wurden sogar vor Gericht verwendet. Ihr Vorgesetzter lobte die Agentin und sagte ihr, sie solle ein paar Tage freinehmen. Nach Hause fahren, sich um ihre Familie kümmern, wieder einen klaren Kopf bekommen.« An diesem Punkt zögerte ich und ließ den Blick über die jungen Gesichter schweifen. »Die Agentin fuhr nach Hause und verbrachte den Tag mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter. In der Nacht, als sie schliefen, schlich die Frau nach unten, nahm ihre Dienstpistole aus dem Waffensafe und schoss sich in den Kopf.«
Ein paar meiner Zuhörer stöhnten dumpf. Die anderen schwiegen.
Ich zuckte die Schultern. »Es wäre einfach, die Frau als psychisch zu schwach zu kategorisieren. Man könnte sogar unterstellen, dass sie vielleicht zuvor schon an Depressionen litt, oder dass in ihrem Leben etwas nicht in Ordnung war, von dem niemand wusste. Aber ich kann Ihnen verraten, dass sie seit acht Jahren Agentin war, eine makellose Bilanz hatte und keinerlei
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