Der Todeskünstler: Thriller (German Edition)
würde sie nicht ernst nehmen. Hoffnung leuchtet in ihren Augen auf.
»Wirklich?«, fragt sie in gequältem Flüsterton.
»Wirklich.« Ich zögere. »Sarah, ich weiß bis jetzt noch nicht, was mit dir passiert ist, doch wer immer das hier getan hat, muss sehr stark sein. Viel stärker als du.«
»Hat er …« Ihre Unterlippe bebt. »Heißt das, Sie können erkennen , dass er hier war?«
»Ja.«
Stimmt das wirklich?
Gibt es nicht noch eine andere Möglichkeit? Könnte es nicht sein, dass Sarah ihren Vater mit vorgehaltener Waffe die schwere Arbeit tun ließ? Könnte sie trotz allem die Täterin sein?
Nein. Viel zu kompliziert. Viel zu düster. Das Mädchen ist zu jung, um einen derart ausgereiften Geschmack entwickelt zu haben.
»Vielleicht«, flüstert Sarah mehr zu sich selbst, »hat er diesmal ja einen Fehler gemacht.«
Ihr Gesicht spannt sich, glättet sich wieder, spannt sich erneut, glättet sich erneut. Hoffnung und Verzweiflung liegen im Widerstreit. Sie lässt die Waffe sinken. Schlägt die Hände vorsGesicht. Einen Augenblick später ist diese nackte, rohe Qual wieder da. Sie explodiert aus ihr hervor, durchdringend, grauenhaft, animalisch. Das Geräusch eines Kaninchens in den Fängen eines Wolfs.
Hastig greife ich nach der Waffe auf dem Teppich, sichere sie und stecke sie in den Bund meiner Jeans. Dann nehme ich Sarah in die Arme und drücke sie an mich.
Ihre Trauer ist wie ein Unwetter, das mit voller Wucht auf mich niedergeht. Doch ich halte sie ganz fest, und gemeinsam meistern wir den Sturm.
Dann wiege ich sie in den Armen und mache leise, beruhigende Geräusche. Ich fühle mich elend, hilflos und unendlich erleichtert zugleich.
Lieber weinen als tot sein.
Als es vorüber ist, bin ich nass von ihren Tränen. Sarah klammert sich an mich, kraftlos und völlig erschöpft.
Trotzdem rafft sie sich auf und stößt sich von mir ab. Ihr weißes Gesicht ist geschwollen vom Weinen.
»Smoky?«, fragt sie leise. Ihre Stimme ist kaum zu hören.
»Ja, Sarah?«
Sie sieht mich an, und ich bin überrascht von der Kraft, die durch ihre unendliche Erschöpfung hindurch an die Oberfläche drängt.
»Bitte … Sie müssen mir etwas versprechen.«
»Was?«
Sie deutet den Flur entlang. »Mein Zimmer … da hinten. In einer Schublade neben dem Bett, da ist mein Tagebuch. Ich habe alles aufgeschrieben, alles über den Künstler .« Sie fällt mir in die Arme. »Versprechen Sie mir, dass Sie es lesen! Nur Sie! Niemand sonst!« Ihre Stimme ist wild. »Versprechen Sie’s!«
»Ich verspreche es, Sarah. Ich …«
Sie verdreht plötzlich die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen ist, und wird in meinen Armen bewusstlos.
Ein Schauder durchläuft meinen Körper, eine verspäteteReaktion meiner Nerven. Zitternd hake ich das Funkgerät vom Gürtel und schalte es ein.
»Alles klar so weit«, sage ich ins Mikrofon, und meine Stimme klingt fester, als ich mich innerlich fühle. »Schickt einen Arzt, der sich um das Mädchen kümmert.«
KAPITEL 10
Es ist Nacht geworden in Canoga Park. Das Haus wird von Streifenwagen und Straßenlaternen angeleuchtet, und das SWAT-Team macht sich bereit zum Aufbruch. Der Helikopter ist verschwunden. Es ist wieder ruhig in der Gegend, auch wenn ich den Lärm der Stadt nur ein paar Blocks entfernt hören kann. Überall entlang der Straße brennt Licht hinter den Fenstern. Die Familien sind in ihren Häusern; die Vorhänge sind zugezogen, die Türen verschlossen.
»Gute Arbeit«, hat Dawes zu mir gesagt, während ein Notarztteam die bewusstlose Sarah zu einem Rettungswagen brachte. Das Team arbeitet hektisch; Sarah wird bereits grau im Gesicht, und ihre Zähne klappern unkontrolliert. Sie zeigt alle Anzeichen eines ernsten Schocks.
»Danke.«
»Ich meine es ernst, Agentin Barrett. Das hätte viel schlimmer ausgehen können.« Dawes zögert. »Vor sechs Monaten hatten wir eine Geiselnahme. Ein Methadon-Freak hatte seine Frau zusammengeschlagen und richtete eine Waffe auf sie, während er seine fünf Monate alte Tochter im Arm hielt. Haben Sie je einen von den Typen gesehen, wenn sie total high sind, Agentin Barrett? Es ist eine Mischung aus Halluzinationen und Verfolgungswahn. Da kann der beste Vermittler nichts ausrichten.«
»Was ist passiert?«
Dawes blickt einen Moment zur Seite, doch erst, als ich Gelegenheit habe, den Anflug von Trauer in seinen Augen zu sehen. »Der Mann erschoss seine Frau. Ohne Vorwarnung. Erredete wirres Zeug, und plötzlich, mitten im Satz,
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