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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Teil von ihm empfand nichts
als eine Mischung aus grenzenloser Verachtung, aber auch
Mitleid mit dieser jämmerlichen Gestalt, die sich da in ihrem
eigenen Schmutz vor ihm auf dem Boden krümmte, aber ein
anderer, immer stärker werdender Teil genoss den Schmerz, den
er dem Mann zufügte.
»Warum?«, fragte er noch einmal. »Warum das alles,
Benedikt? Nur aus Grausamkeit? Waren Abu Dun und ich nur
Spielbälle für euch, so wie all die Menschen hier?«
Er kannte die Antwort auf seine Fragen längst, aber er wollte
sie aus Benedikts Mund hören; vielleicht weil die Erklärung,
auf die er selbst gekommen war, zu ungeheuerlich klang.
»Geh!«, wimmerte Benedikt. »Geh weg! Lass mich! Du … du
kannst nicht mehr leben! Ich habe gesehen, wie du gestorben
bist! Du gehörst nicht zu uns!«
Andrej senkte die Fackel. Gierige Flammen leckten nach
Benedikts Hand und fraßen sich zischend in seine Haut, und
plötzlich roch es durchdringend nach verbranntem Fleisch. Der
Geistliche kreischte, warf sich herum und presste die verbrannte
Hand gegen die Brust. Seine Schreie waren laut genug, um auch
draußen gehört zu werden, aber das war Andrej gleich. Das
Mitleid, das er für einen Moment empfunden hatte, war
erloschen. Er spürte den Schmerz - und viel, mehr noch die
Angst - des Mannes, und er sog beides mit großen, gierigen
Zügen auf wie einen kostbaren Wein. Es war nicht der Vampyr
in ihm, der sich am Entsetzen des Mannes labte, sondern etwas
anderes, Schlimmeres. Was hatte Thobias gesagt? Wenn der
Mond das nächste Mal aufgeht… Großer Gott, in was würde er
sich verwandeln, wenn es so weit war?!
»Warum?«
»Wir wollen doch nur leben!«, schluchzte Benedikt. »Ist das
denn ein Verbrechen?«
»Wir? Wer ist wir? Birger und die anderen, meinst du?«
Andrej stocherte mit der Fackel in Benedikts Richtung, um
seiner Frage Nachdruck zu verleihen, achtete aber darauf, ihn
nicht noch einmal zu treffen. »Sprich!«
»Thobias«, keuchte Benedikt. »Thobias und ich. Thobias war
der … der Erste, der die Verwandlung überlebt hat. Alle anderen
vor ihm sind gestorben, so wie Birger und seine Familie. Sie
wären ohnehin gestorben, Andrej! Sie sterben alle. Nur Thobias
hat es überlebt.«
»Und du«, sagte Andrej hart.
Benedikt schüttelte den Kopf. Er richtete sich halb auf und
kroch mit kleinen, zitternden Bewegungen von Andrej fort. In
seinen Augen flackerte die Todesangst. »Doch nur, weil er mir
geholfen hat«, stammelte er. »Er besitzt die Macht, versteh
doch! Er … er ist etwas Besonderes.«
Ja, dachte Andrej finster. Das ist er. Ganz zweifellos. Er
schwieg.
»Er hat mich gerettet«, fuhr Benedikt fort. »Ich war tot. Wie
alle anderen.
Ich bekam das Fieber und starb daran, aber Thobias hat mich
zurückgeholt.
So wie er auch seinen Vater zurückholen wird.« Er fuhr sich
mit der Zunge über die Lippen. Sein Blick irrte unstet zwischen
Andrejs Gesicht und der Fackel in seiner Hand hin und her.
»Versteh doch!«, stammelte er. »Thobias ist nicht wie … wie
Birger und all die anderen. Er besitzt Macht über den Tod!
Er kann ihm trotzen! Er … er könnte auch dir zur
Unsterblichkeit verhelfen.
Ich bin sicher, er würde es tun! Denke darüber nach! Du
könntest Unsterblichkeit erlangen, du und dein Freund! Ihr
würdet…«
Andrej versetzte ihm einen Faustschlag, der ihm auf der Stelle
das Bewusstsein raubte. Benedikt erschlaffte und sank reglos
zurück, und Andrej richtete sich schwer atmend auf und maß
ihn mit einem verächtlichen Blick.
»Danke«, murmelte er. »All das habe ich schon, weißt du?
Aber nicht um den Preis, den du dafür bezahlt hast.« Der Wolf
in ihm wurde stärker. Es kostete ihn all seine Kraft, sich nicht
auf die reglos daliegende Gestalt des Geistlichen zu stürzen und
die Zähne in seinen Hals zu schlagen, um sein warmes, süßes
Blut zu trinken. Beute. Mehr war der Mann in diesem Moment
nicht mehr für ihn, und vielleicht würden Menschen nie wieder
irgendetwas anderes für ihn sein, wenn der Mond das nächste
Mal aufgegangen war.
Er wollte den Raum verlassen, wollte weg von hier, fort aus
der Nähe dieses … Dinges, das unmenschlicher war als all die
vermeintlichen Ungeheuer, die Abu Dun und er oben in der
Höhle gefunden hatten, trotz seiner menschlichen Gestalt.
Stattdessen machte er einen Schritt weiter in den Raum hinein
und trat an die schmale Pritsche mit Ludowigs Leichnam.
Der Anblick versetzte ihm einen tiefen Stich. Der alte Mann,
seiner Kleidung beraubt, war

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