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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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verriet, wie
sehr sie ihn fürchteten.
Andrej spürte einen eisigen Schauer, als ihm klar wurde, wie
riskant sein Plan gewesen war. Sie hatten es dabei belassen,
dem vermeintlich Toten die Kehle durchzuschneiden. Ebenso
gut hätten sie auf den Gedanken kommen können, ihm den
Kopf abzuschneiden, oder seinen Leichnam auf einen der
Scheiterhaufen zu werfen, die draußen vor der Kirche aufgebaut
waren.
Er stemmte sich weiter in die Höhe, erstarrte aber mitten in
der Bewegung, als seine tastenden Finger auf etwas Weiches
stießen. Angeekelt zog er die Hand zurück, schüttelte den Kopf
über seine eigene, ungewohnte Schreckhaftigkeit und tastete
erneut in die Dunkelheit hinein. Seine Finger fuhren über ein
kaltes, erstarrtes Gesicht, rauen Stoff und etwas, das sich wie
bröseliger Stein anfühlte … Blut, das zu Schorf eingetrocknet
war. Neben ihm lag ein Toter. Er war schon geraume Zeit tot,
Stunden, wenn nicht Tage.
War das der Grund, aus dem sich der Wolf in ihm nicht
gemeldet hatte, dachte er schaudernd? Weil die Bestie
nachfrischer Beute gierte?
Andrej schüttelte den Gedanken mühsam ab, richtete sich
weiter auf und drehte sich mit weit vorgestreckten Armen
einmal im Kreis, um sich zu orientieren. Er war vollkommen
blind, was bedeutete, dass er entweder wirklich nichts mehr
sehen konnte - eine Möglichkeit, über die er lieber nicht
nachdachte - oder in einem fensterlosen Raum war. Vielleicht
tief unter der Erde. Hatte man ihn in die Krypta gebracht? Das
hätte die Anwesenheit des zweiten Toten erklärt.
Aber diese Kirche war nicht groß genug, um eine Krypta zu
haben, überlegte Andrej. Und hätte man sich die Mühe
gemacht, ihn bis zum Friedhof am anderen Ende des Tales zu
schaffen, wäre er unterwegs aufgewacht. Er glaubte nicht, dass
er lange bewusstlos gewesen war, trotz der Schwere seiner
Verletzung, denn das Blut auf seiner Kleidung war noch nicht
ganz getrocknet.
Draußen war es noch immer dunkel, und der Raum, in dem er
sich befand, hatte keine Fenster, so musste es sein.
Aber wo war er?
Er hörte ein Geräusch. Ein schwerer Riegel wurde scharrend
zurückgeschoben, und Andrej reagierte sofort. Blitzschnell ließ
er sich zurücksinken, rollte halb auf die Seite und schloss die
Augen.
Der Riegel wurde vollends zurückgeschoben. Die Tür sprang
mit einem Knarren auf, und Fackellicht und das Murmeln
gedämpfter Stimmen drangen zu ihm herein. Andrej blieb
vollkommen reglos liegen, aber er wusste trotzdem, wer zu ihm
kam: Bruder Thobias, der Inquisitor und Benedikt. Vielleicht
hatte er die Schritte der Männer erkannt, aber er hatte das
Gefühl, dass er sie eher witterte.
Die Schritte kamen näher, und eine brennende Fackel warf
rötliches Licht und unangenehm trockene Wärme auf sein
Gesicht. Andrej spürte, wie sich jemand über ihn beugte und ihn
musterte, und er versuchte, so flach wie möglich zu atmen.
Wären der Inquisitor oder einer seiner Begleiter auf die Idee
gekommen, ihn mehr als nur flüchtig zu untersuchen, so wäre
seine Verstellung aufgefallen.
»Ist er das?«, fragte der Inquisitor.
»Ja.« Das war Thobias’ Stimme. Sie klang … sonderbar, fand
Andrej.
Verändert. Ängstlich.
»Das also ist Andrej«, murmelte der Inquisitor. Die Fackel
kam näher, und die Hitze des brennenden Holzes wurde
unangenehm. Funken fielen auf Andrejs Gesicht und fraßen
sich zischend in seine Haut.
»Nach allem, was Ihr mir erzählt habt, Thobias, habe ich ihn
mir … anders vorgestellt. Gefährlicher.« Die Fackel wurde
zurückgezogen, und der Inquisitor fuhr nach einer Pause und
mit leicht veränderter Stimme fort: »Aber der Teufel verbirgt
sich oft in der Maske des Harmlosen, nicht wahr?«
»So ist es, Exzellenz«, bestätigte Thobias.
Der Inquisitor seufzte. Wärme und Licht der Fackel
entfernten sich weiter von Andrejs Gesicht, und er wagte es,
einen vorsichtigen Atemzug zu tun. Gebannt lauschte er weiter,
während er gleichzeitig versuchte, die Geräusche zuzuordnen,
die durch die offen stehende Tür hereindrangen.
»Es ist bedauerlich, dass die Soldaten ihn erschlagen haben«,
sagte der Inquisitor nach einer Weile. »Ich hätte ihn gerne
verhört.«
»Sie hatten vermutlich keine andere Wahl«, gab Benedikt zu
bedenken. »Wie sie sagten, hat er sie angegriffen.«
»Es ist ein Wunder, dass er sie nicht alle getötet hat«,
pflichtete ihm Thobias bei, »Glaubt mir, Exzellenz, ich habe
diesen Mann kämpfen sehen. Ich wäre nicht erstaunt gewesen,
hätte er Eure

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