Der Todesstoss
Benedikt. Falls er
aufwacht, muss jemand da sein, der es ihm erklärt.«
Benedikt sog hörbar die Luft ein. »Du glaubst… ?«
»Nein«, sagte Thobias, noch ehe sein Onkel die Frage ganz
aussprechen konnte. »Aber ich will kein Risiko eingehen. Nicht
jetzt, wo wir dem Ziel so nahe sind.«
»Und was soll ich ihm sagen, wenn er erwacht?«, fragte
Benedikt unsicher.
»Dir wird schon etwas einfallen«, antwortete Thobias
leichthin.
»Immerhin bist du sein Bruder. Ich muss jetzt gehen. Martius
wird diesen Heiden verhören, und ich fürchte, dass selbst er sich
den Fragen eines Inquisitors nicht lange widersetzen kann. Wir
wollen doch nicht, dass am Ende noch alles herauskommt,
oder?«
»Aber …«, begann Benedikt, brach dann aber mitten im Wort
ab. Thobias’ Schritte entfernten sich, und nur einen Moment
später fiel eine Tür zu, nicht die des Raumes, in dem sie sich
befanden, sondern weiter entfernt.
Andrej wagte es, erneut die Augen zu öffnen. Er konnte
Benedikt nicht genau erkennen, sondern sah nur einen Schatten.
Aber früher oder später musste er seine Maskerade aufgeben.
Unendlich langsam drehte er den Kopf auf der harten Unterlage,
auf der er lag.
Benedikt stand unmittelbar neben ihm, hatte ihm aber den
Rücken zugedreht und sich halb über die harte Pritsche gebeugt,
auf der Ludowigs Leichnam aufgebahrt war. Die brennende
Fackel in seiner Hand zitterte so stark, dass der gesamte Raum
von unheimlich huschenden Schatten erfüllt war. Die rasselnden
Atemzügen Benedikts waren deutlich zu hören.
Andrej richtete sich langsam auf. Er brauchte mehr als eine
Minute für die Bewegung, und noch einmal die gleiche Zeit, um
die Beine von der Liege zu schwingen und ganz aufzustehen.
Benedikt regte sich nicht, sondern starrte weiter reglos und wie
gebannt auf den nackten Leichnam des alten Mannes vor sich
hinab. Andrej trat vollkommen lautlos einen Schritt von der
Liege weg und drehte sich herum. Dann war er mit einer
einzigen Bewegung bei der Tür und warf sie zu.
Benedikt fuhr herum. Seine Augen wurden groß, und ein
Ausdruck vollkommener Fassungslosigkeit erschien in seinem
Blick. Dann schlug dieses Erstaunen jäh in Schrecken um.
»Aber …«, krächzte er. »Aber das … wie …?«
»Nur, damit ich das richtig verstehe, Vater«, sagte Andrej
spöttisch, während er die Arme vor der Brust verschränkte und
sich gegen die Tür lehnte. »Ihr seid zurückgeblieben, um die
Totenwache an Ludowigs Bett zu halten, und nicht etwa an
meinem? Jetzt müsste ich erzürnt sein.«
Er bezweifelte, dass Benedikt seine Worte überhaupt hörte.
Die Augen des grauhaarigen Geistlichen quollen vor Entsetzen
schier aus den Höhlen, und sein Gesicht hatte alle Farbe
verloren und war nun tatsächlich grau. Sein Blick war der eines
Mannes, der allmählich begreift, dass er dem Leibhaftigen
selbst gegenübersteht.
»Nein«, stammelte er. Speichel lief aus seinem Mundwinkel
und hinterließ eine glitzernde Spur auf seinem Kinn, ohne dass
er es bemerkte, und in seinen Augen begann der beginnende
Wahnsinn zu flackern. Andrej war alarmiert. Er hatte kein
Mitleid mit diesem Ungeheuer in Menschengestalt und würde
ihn töten, bevor er diesen Raum verließ - aber zuvor musste er
ihm noch einige Fragen beantworten. Zumindest eine.
»Teufel!«, stammelte Benedikt. »Du … du bist der Teufel!«
»Nicht mehr als Ihr«, antwortete Andrej. »Vermutlich noch
nicht einmal annähernd so sehr wir Ihr.« Er trat einen halben
Schritt auf Benedikt zu, mit dem Ergebnis, dass dieser einen
spitzen, halb erstickten Schrei ausstieß und so heftig zurück und
gegen die Liege mit Ludowigs Leichnam prallte, dass diese
bedrohlich zu wanken begann.
»Komm mir nicht zu nahe!«, wimmerte er. »Du bist tot! Du
kannst nicht mehr leben!«
»Wie Ihr seht, kann ich das sehr wohl«, antwortete Andrej
ruhig. »Und ich nehme an, ich bin nicht der Einzige in diesem
Raum, der dieses Kunststück beherrscht. Was meint Ihr, Vater
Benedikt - wollen wir herausfinden, ob Ihr ebenso schwer
umzubringen seid wie ich?«
Er war mit einem einzigen Schritt bei Benedikt, riss ihm die
Fackel aus der Hand und schleuderte ihn zu Boden. Der alte
Mann fiel, krümmte sich und begann zu wimmern. Auf seinem
Gewand erschien ein dunkler Fleck, und Gestank erfüllte den
Raum.
»Ich lasse dich am Leben, wenn du mir eine einzige Frage
beantwortest«, sagte Andrej. »Warum?«
Benedikt wimmerte noch lauter, und Andrej versetzte ihm
einen harten Tritt in die Seite. Ein
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