Der Todesstoss
überleben.«
»Thobias!«, keuchte Ludowig. »Was … was tust du?!«
»Was notwendig ist«, antwortete Thobias hart.
»Nein!«, rief Ludowig. »Das … das kannst du nicht tun! Nicht
alle diese Menschen! Sie … sie sind deine Schwestern und
Brüder! Du kannst nicht alle diese Menschen umbringen
wollen!«
»Es muss sein«, befand Thobias. »Nur so können wir Ruhe
finden, Vater.«
»Aber du …«
»Sie werden nicht aufhören«, fuhr Thobias in verächtlichem
Ton und mit einer Kopfbewegung auf den Inquisitor fort.
»Glaubst du, wenn er geht, kommt an seiner Stelle nicht ein
anderer? Trentklamm muss vernichtet werden. Nur wenn sie
glauben, dass wir alle tot sind, werden sie uns in Frieden
lassen.«
»Nein«, keuchte Ludowig. Er zitterte am ganzen Leib, aber
nun nicht mehr vor Schmerz, sondern vor blankem Entsetzen
über das, was er hörte. »Das kann nicht sein! Tu das nicht,
Thobias, im Namen Gottes! Wir … wir können weggehen. Wir
können fliehen, irgendwohin, wo sie nicht nach uns suchen!«
»Sie würden uns überall finden«, erwiderte Thobias. »Wir
hätten nirgendwo Ruhe.«
»Aber …«
»Gebt Euch keine Mühe, Vater Ludowig«, sagte Andrej.
Selbst das Reden fiel ihm schwer. Alles würde so kommen, wie
Thobias es geplant hatte, und vielleicht war das sogar gut so.
Andrej schauderte. Das war nicht er, der diesen Gedanken
hegte. Der Wolf begann nicht nur von seinem Körper Besitz zu
ergreifen, sondern schlich sich bereits in seine Gedanken ein,
»Ihr werdet Euren Sohn nicht umstimmen, Vater. Er hat das von
Anfang an so geplant, nicht wahr?«
Die letzte Frage war an Thobias gerichtet, der sie mit einem
Nicken und einem kalten, nur angedeuteten Lächeln
beantwortete. »Ihr und Euer schwarzer Freund wart ein
Geschenk Gottes. Ich habe lange auf jemanden wie Euch
gewartet, Andrej.«
»Jemanden, dem Ihr die Schuld an allem geben könnt«,
vermutete Andrej.
»Euer Plan ist aufgegangen. Jetzt müsst Ihr nur noch
abwarten, bis Martius’ Männer den Rest der Stadt
niedergebrannt und alle Männer, Frauen und Kinder erschlagen
haben.«
Thobias lächelte, und sein Vater richtete sich weiter auf. Er
hatte sich erneut verändert. Sein gesamter rechter Arm war
mittlerweile von schwarzem Fell überzogen, und die Hand
begann sich zur Kralle zu biegen. Sein Gesicht war zur
Grimasse geworden, nur noch zur Hälfte menschlich.
»Nein«, wimmerte er. »Nein! Nein!«
Und damit warf er sich auf Thobias.
Der Angriff kam völlig überraschend. Thobias taumelte
haltlos einen Schritt nach vorn und versuchte sich aus dem Griff
Ludowigs zu befreien. Für einen Moment lockerte sich der
Würgegriff des fremden Willens, der Andrej gefangen hielt.
Er versuchte nicht, sich nach dem Schwert zu bücken. Andrej
blieb nur Zeit für eine einzige Bewegung: Er ergriff die
brennende Fackel, die noch immer zwischen ihm und der
Pritsche lag, und stieß sie Thobias mit aller Macht ins Gesicht.
Thobias brüllte vor Schmerz und Wut. Seine Faust
schmetterte Andrej die Fackel aus der Hand, und ein zweiter,
ungleich härterer Schlag mit dem Handrücken schleuderte ihn
vollends zu Boden. Benommen blieb Andrej liegen und
versuchte dann in die Höhe zu kommen.
Als er die Augen öffnete, bot sich ihm ein schrecklicher
Anblick. Thobias rang noch immer mit seinem Vater. Er hatte
sich weiter verändert. Das Ungeheuer in ihm hatte Überhand
genommen - aber auch Thobias war verwandelt.
Auch er war zum Werwolf geworden, aber was Andrej
erblickte, war nicht die schrecklich missgestaltete Kreatur, die
er erwartet hatte, sondern ein auf eine wilde Art beinahe
schönes Geschöpf; eine unglaubliche Mischung aus Mensch
und Tier. An diesem Werwolf - dem ersten wirklichen
Werwolf, den er sah, wie Andrej jenseits aller Zweifel begriff -
war nichts Dämonisches oder Abstoßendes. Es war ein
Geschöpf von so unvorstellbarer Fremdheit, dass sich etwas in
Andrej bei seinem bloßen Anblick zu rühren schien.
Die Kleider des Geschöpfes brannten. Andrejs Fackel hatte
sein Gesicht verfehlt, aber sie hatte den Stoff seiner schwarzen
Priesterrobe in Brand gesetzt, und die Flammen breiteten sich
rasend schnell aus. Der Werwolf schrie vor Schmerz und Wut,
versuchte Ludowig abzuschütteln und gleichzeitig mit der
anderen Hand die Flammen zu ersticken, die aus seinem
Gewand schlugen, aber es gelang ihm nicht. Ludowig
klammerte sich mit der Kraft der Verzweiflung an das
unheimliche Wesen, das einst sein Sohn gewesen war, und es
gelang ihm, Thobias aus dem
Weitere Kostenlose Bücher