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Der Tomorrow-Code - Thriller

Der Tomorrow-Code - Thriller

Titel: Der Tomorrow-Code - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Tränen traten in Rebeccas Augen.
    Der Älteste schaute sie einen Moment lang mit ernster Miene an. Sein Blick war voller Weisheit.
    »Weißt du, was
kaitiakitanga
bedeutet, Mädchen?«, fragte er.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid.«
    Der Älteste lächelte und sagte ein paar Worte in Maori, die für die geschnitzten Vorfahren an den Wänden bestimmt waren. Dann wandte er sich wieder zu ihr. »Ihr
Pakeha
glaubt, dass das Land den Menschen gehört. Aber wir Maori glauben, dass die Menschen dem Land gehören. Wir sind
Tangata Whenua
– Menschen des Landes. Es ist eine Auszeichnung, auf diesem Land leben zu dürfen, aberes ist kein Recht. Und deshalb tragen wir auch eine große Verantwortung, die wir
kaitiakitanga
nennen.«
    Ringsum herrschte Schweigen; alle Augen waren auf den Alten gerichtet. Tanes Blicke schweiften jedoch zu den Masken der Vorfahren an den Wänden. Er glaubte zu spüren, dass sie ihn ebenfalls anstarrten.
    Von draußen tönte der Lärm von Hämmern herein. Offenbar hatten sie die Sperrholzplatten sehr schnell herbeigeschafft. Tane hoffte, dass sie stark genug waren.
    Der Mann fuhr zunächst in Maori fort, dann wechselte er ins Englische. »Tausende Jahre lang haben wir Maori unsere Umwelt beschützt. Was wir benutzten und verbrauchten, haben wir der Natur zurückgegeben und ersetzt. Doch dann kamen die
Pakeha
in unser Land. Wir
Kaitiaki
hätten
Papatuanuku
– die Erdmutter   – verteidigen müssen, doch das taten wir nicht. Unsere Stimmen verstummten.«
    Zustimmendes Murmeln der übrigen Ältesten klang durch den Saal.
    »Dann glaubt ihr also auch«, sagte Rebecca langsam, »dass die Menschheit vernichtet werden muss, bevor sie ihren Gastgeber, die Erde, vernichtet?«
    »Nein, mein Kind.« Die Stimme des Alten klang sanft, kaum mehr als der Atem eines kleinen Kindes, und doch mit solcher Kraft, dass selbst die Masken der Vorfahren zu beben schienen und die Worte in allen Ecken der Halle zu hören waren. »Wir sind Teil der Natur, Geschöpfe von
Papatuanuku.
Nicht wir sind die Krankheit, sondern Habgier und Dummheit.«
    »Aber wir können nicht zurück!«, widersprach ihm Rebecca laut. »Eine Mutation könnt ihr nicht rückgängig machen. Die Menschheit kann nicht mehr in Dörfern leben und
kumara
anbauen!«
    »Richtig, das können wir nicht«, nickte der Älteste traurig. »Aber wir können lernen, mit Bäumen und Seen, mitBergen und Meeren, mit Fischen und Tieren zu leben, als eine Familie, als
Whanau,
nicht als Eroberer und Eindringlinge! Es gibt nur einen einzigen Weg:
kaitiakitanga!
«
    Der Älteste ging zu seinem Stuhl zurück und ließ sich mühsam darauf nieder. Seine Autorität, seine Macht schienen sich in seinen geschrumpften Körper zu verflüchtigen.
    Lange herrschte Stille. Eine Brise drang herein und ließ die Plastikplanen rascheln. Das Geräusch erinnerte Tane daran, dass die Zeit knapp wurde. »Was können wir tun?«, fragte er leise.
    »Ihr wisst, was ihr zu tun habt«, sagte sein Vater, stand auf und wiederholte seine Worte mit stolz erhobenem Kopf. »Wir wissen, was wir zu tun haben. Wir leben in einer westlichen Gesellschaft, wir haben die westliche Lebensweise übernommen, aber wir haben unsere eigene Kultur niemals vergessen.«
    Ein Chor der Zustimmung auf Maori vom Ältestenrat hallte durch den Raum.
    »Das trifft vielleicht für dich zu«, sagte Tane. »Aber nicht für alle anderen. Die jungen Menschen haben sie vergessen.« Er brach ab, dann fuhr er gequält fort: »Ich habe sie vergessen.«
    Mein Volk. Meine Kultur. Mein whakapapa.
    Der Älteste erhob noch einmal die Stimme, ohne sich von seinem Platz zu erheben. »Du hast dein
whakapapa
nicht vergessen, weil du es nicht vergessen kannst. Du hast nur die Augen verschlossen. Und nun hast du sie wieder geöffnet.«

DER LETZTE ABEND DES JAHRES
    21.05   Uhr
     
    Kurz nach neun Uhr abends krochen die ersten Tentakeln des Nebels flüsternd über die Hügel von Albany, schlängelten sich zwischen den Bäumen hindurch und schlichen auf der wichtigsten Landstraße entlang, die durch den Busch und die Hügel führte.
    Es war der Abend vor Neujahr   – der letzte Tag des Jahres. Manche behaupteten inzwischen, es werde der letzte Tag aller Jahre sein.
    Sie könnten recht haben, dachte Crowe, als er den Nebel auf dem Videomonitor auf sich zukriechen sah, wenn es uns nicht gelingt, ihn hier und jetzt aufzuhalten.
    Der Nebel floss auf den kleinen Metallbehälter zu, in dem sich die Kamera befand, und darüber

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