Der Tote am Lido
Leute lagen kreuz und quer in ihren Strandmuscheln und aus Treibholz errichteten Unterständen.
Lunau fand keine frischen Spuren im Sand. Joy musste also noch in der Halle sein. Er kehrte zurück. Die Männer warfen ihr Blechgeschirr in den Bottich mit Spülwasser, während der junge Mann mit dem ondulierten Helm aus einer riesigen Espressokanne Kaffee verteilte.
»Joy!«, rief Lunau. »Das waren Freunde von mir. Keine Polizei, keine Ausländerbehörde. Du brauchst keine Angst zu haben.« Seine Stimme erzeugte einen enervierenden Hall. »Joy!«, schrie er noch einmal, überzeugt, dass das Mädchen ihn hörte. Er schritt die Metalltürme ab und versuchte, im Zwielicht etwas zu erkennen. Man schien wahllos Maschinenteile, Motoren, Werkzeuge und Stahlträger aufeinander geworfen zu haben. Insgesamt hatte man fünf Haufen gebildet, zwischen denen sich jeweils ein Durchlass befand. Joy musste in irgendeinem Hohlraum stecken. Als Lunau auf den größten der Türme zuging, versperrte ihm aufeinmal der junge Mann mit dem ondulierten Haar den Weg. Zwei andere sprangen ihm bei, und dann waren es schon fünf. Sie waren unbewaffnet, aber ihre Haltung war klar. Sie standen unbeweglich und blickten Lunau unverwandt an, während draußen ein Ape, ein Dreiradroller mit Ladepritsche, vorbei knatterte und sich am Eingang der Halle zwei Möwen kreischend um Essensreste stritten.
»Ihr kennt keine Joy, wie?«, sagte er verächtlich. Als er nach seiner Gesäßtasche griff, traten plötzlich die Sehnen am Hals der Männer hervor.
»Nur ruhig«, sagte Lunau und zeigte die Visitenkarte, die er aus der Tasche geholt hatte. »Sagt Joy, sie kann mich jederzeit anrufen.«
Er steckte die Karte dem jungen Mann in die Brusttasche und verabschiedete sich mit einem Wink. Als er wieder im Sonnenlicht stand, zitterten seine Beine.
7
Dank surrender Elektrik öffneten sich die beiden Flügel des Metalltores, und Lunau hatte einen freien Blick auf die Villa der Schiavons. Es war ein geschmackvoller Bau mit mehreren Dependancen. Dahinter lag ein parkähnlicher Ziergarten, davor ein Kiesrondell, an dem noch mehr Autos parkten als gewöhnlich. Schwere, teure Limousinen, an denen der Staub des Hochsommers nicht zu haften schien. Aus dem Haus drangen Gelächter und ein Streichquartett von FranzSchubert. Ein gut gebauter Mann in schwarzem Anzug kam auf Lunau zu. Er schwitzte nicht.
»Haben Sie eine Einladung?«, fragte der Mann der Sicherheitsfirma.
»Nein. Amanda wartet auf mich.«
Und da kam sie auch schon aus der Tür. »Er gehört zu mir«, rief sie. Der Sicherheitsmann hob eine Braue und ließ Lunau vorbei. Amanda hatte ihren Kleidungsstil nicht geändert. Sie trug immer noch Klamotten, in die Designer teure Löcher geschnitten hatten. Ihre Haare waren rot gefärbt, aber zu einem braven Bubikopf gestutzt, der sie noch attraktiver machte. Sie umarmte ihn und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. Flüchtig, allerdings auch mit einem Klopfen ihrer harten Zungenspitze. Sie konnte es nicht lassen, Lunau zu provozieren.
Schon bei ihrem ersten Anruf in Berlin hatte sie bei Lunau eine Irritation ausgelöst, mit der er nicht umzugehen verstand. Sie hatte den englischen Akzent teurer Sommerkurse und die Bedingungslosigkeit einer Jeanne d’Arc. Sind Sie Punk oder höhere Tochter?, hatte Lunau sie später gefragt. Geht nicht beides?, war ihre Antwort gewesen. Sie ging achtlos mit dem Luxus um, in dem sie lebte, so wie mit ihrem jungen, makellosen Körper. Sie gefiel Lunau, und das missfiel ihm.
»Störe ich bei einer Feierlichkeit?«, fragte er.
»Mein Vater hat eine Party organisiert.«
»Für seine Gönner, die ihm den Wahlkampf finanzieren?«
Amanda rückte ein Stück von Lunau ab. »Woher weißt du von seiner Kandidatur?«
»Selbst wenn man nichts davon wissen will – man schafft es nicht.«
Amanda lachte. »Klar, wie doof von mir.«
»Meint er wirklich, dass die Leute nach fünfzig Jahren Hegemonie der Linken ausgerechnet ihn wählen, einen Unbekannten, noch dazu von der Lega Nord?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Man weiß nie. Im Moment steht Italien auf der Kippe. Und nicht alles, was mein Vater vorhat, ist verkehrt.«
Lunau traute seinen Ohren nicht. Vor vier Monaten hatte Amanda an ihrem Vater kein gutes Haar gelassen. Sie hatte ihn als Menschen ebenso verachtet wie seine politischen Ideen. »Wie meinst du das?«
Sie hatten das Foyer der Villa erreicht, wo kleinere Gruppen standen und plauderten. Plötzlich kam Adelchi Schiavon auf
Weitere Kostenlose Bücher