Der Tote am Steinkreuz
können.«
»Du beobachtest scharf, Dubán«, stimmte ihm Fidelma ruhig zu.
»Krieg und Tod sind mein Beruf, Schwester. Ich bin es gewohnt, Wunden zu betrachten. Doch wer das Blatt auch geschrieben hat, er gab uns einen unbeabsichtigten Hinweis.«
»Einen Hinweis?«
»Es ist in Latein geschrieben. Nur wenige Leute in Araglin können Latein.«
»Ja, das stimmt«, überlegte Fidelma. »Und wie ich schon zu Scoth sagte, Agdae gehört nicht dazu. Das schließt ihn also aus. Kannst du Latein, Dubán?«
Der Krieger zögerte keinen Moment.
»Natürlich. Die meisten gebildeten Leute verstehen etwas davon. Selbst Gadra kann Latein, obwohl er Heide ist.«
Fidelma wandte sich an Archú.
»Ich möchte, daß ihr beide, du und Scoth, morgen mittag in den rath kommt«, ordnete sie an. Als er protestieren wollte, fuhr sie fort: »Dubán wird seine Krieger anweisen, euch zu begleiten.« Dann sagte sie zu Dubán: »Und du wirst deinen Kriegern auch befehlen, Agdae mitzubringen …«
»Wir haben Agdae nicht finden können«, wandte Dubán ein.
»Er ist in Clídnas Bordell. Sorgt dafür, daß er ausgenüchtert ist, wenn er im rath erscheint. Ach, und Clídna könnt ihr auch gleich mitbringen.«
Dubán blickte sie erschrocken an.
»Weißt du, was du da verlangst?« fragte er.
»Das weiß ich sehr wohl. Ich denke, morgen werden wir in der Lage sein, das ganze Geheimnis aufzuklären.«
Dubáns Augen weiteten sich sichtlich.
»Tatsächlich?«
Fidelma lächelte freudlos.
»Gibst du nun deinen Männern die Anweisungen für das Geleit der Leute, die ich erwähnt habe?«
Der Krieger zögerte, neigte dann aber zustimmend den Kopf, schritt in die Dämmerung hinein und rief seine Männer zusammen.
Fidelma ging rasch zu ihrem Pferd.
»Warte, Schwester!« rief ihr Scoth nach. »Du willst doch jetzt nicht fort. Es wird schon dunkel. Den rath erreichst du erst, wenn es vollkommen finster ist.«
»Macht euch keine Sorgen um mich. Den Weg kenne ich inzwischen. Ich habe noch viel zu erledigen. Ich sehe dich und Archú morgen mittag im rath. «
Sie schwang sich in den Sattel, setzte ihr Pferd in Trab und ritt in die sinkende Dämmerung hinaus.
Schon nach einer halben Meile hörte sie galoppierenden Hufschlag hinter sich. Sie sah sich nach einem Versteck um, aber hier war der Weg weit und offen. Es gab nicht einmal eine Hecke, hinter der sie Schutz finden konnte.
» Hóigh! Schwester!«
Es war Dubáns Stimme. Widerwillig hielt sie an und wandte sich im Sattel um.
Dubán schloß zu ihr auf.
»Es ist nicht klug, in die Dunkelheit zu reiten«, ermahnte er sie. »Davon, daß Dignaits Leiche gefunden ist, wird das Tal nicht sicherer.«
Fidelma lächelte gepreßt, doch das war in der Dunkelheit nicht zu erkennen.
»Das habe ich auch nicht angenommen«, erwiderte sie.
»Du hättest warten sollen. Ich reite ja auch zum rath zurück. Bleiben wir zusammen.«
Fidelma hätte es vorgezogen, allein den Weg zurückzulegen und nicht in Dubáns Gesellschaft, nach dem, was sie am Bergwerk gesehen hatte, fand aber keine Ausrede. Entweder mußte sie Dubáns Begleitung annehmen, oder sie mußte ihm ihren Verdacht offenbaren und ihr Wissen darum, daß er Menma getötet hatte.
»Nun gut«, sagte sie. »Aber ich kann mit den meisten zweibeinigen Raubtieren fertig werden.«
»Das habe ich schon gehört«, lachte Dubán. »Aber ich dachte eher an Vierbeiner. Archú erzählte mir, daß in den letzten Tagen Wölfe das Schwarze Moor unsicher machen.«
»Wölfe sind meine geringste Sorge.«
Gemächlich ritten sie weiter.
»Ach, du denkst an Agdae …«
»Eher an Crítán«, antwortete sie. »Du weißt, ich habe mit dem jungen Mann gekämpft, und er könnte sich rächen wollen.«
Wirkte Dubáns Ton unsicher, als er schließlich weitersprach?
»Natürlich, das hatte ich vergessen. Aber Crítán brauchst du nicht zu fürchten. Ich habe gehört, er ist fort aus Araglin und will nach Cashel. Hast du es ernst gemeint, als du sagtest, du denkst, daß morgen alles geklärt wird?«
»Ich meine es gewöhnlich ernst mit dem, was ich sage«, entgegnete Fidelma spitz.
»Da wird Crón aber erleichtert sein.«
»Und du wirst sicherlich …«
Ihre Rede wurde vom klagenden Muhen eines Rindes ganz in der Nähe unterbrochen. Es war ein eigenartiger, aufgeregter Angstlaut.
Dubán parierte sein Pferd und starrte im Zwielicht auf den Berghang. Fidelma hielt neben ihm.
Schattenhaft sah sie langhaarige Rinder, die sich unruhig bewegten und merkwürdige Warnrufe
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