Der Tote am Steinkreuz
zurückkommt?« fragte Fidelma.
»Nach der Größe zu urteilen war es eine Wölfin«, bestätigte Dubán ihre eigene Beobachtung. »Sie kehrt bestimmt zurück, denn sie sucht Futter für ihre hungrigen Jungen.«
»Kommen die Wölfe oft so dicht an die Bauernhöfe heran?«
»Eher im Winter als im Frühling oder Sommer. Gelegentlich dringen sie sogar in den rath ein und holen sich Hühner oder auch ein Ferkel.«
Er blieb stehen und hob die Hand.
»Sieh mal, unsere Pferde stehen da bei den Bäumen. Sie sind nicht weit gerannt.«
Fidelma sprach ein stummes Dankgebet. Ein langer Fußmarsch durch die Nacht war jetzt nicht nach ihrem Geschmack.
Die beiden Pferde schienen ehrlich erfreut, ihre Reiter wiederzusehen, und ließen sich ohne Mühe einfangen.
Nachdem sie ein Stück geritten waren, sagte Fidelma: »Du hast mir das Leben gerettet, Dubán.«
Der Krieger zuckte die Achseln. Ihre Worte schienen ihm peinlich zu sein.
»Ich habe vor Máenach, dem damaligen König von Cashel, meinen Kriegereid geleistet und geschworen, Menschen in Not zu helfen.«
Fidelma blickte ihn interessiert an. Das bedeutete, daß Dubán ein Krieger des alten Ordens vom Goldenen Halsreif war. Die Überlieferung besagte, daß tausend Jahre vor Christi Geburt ein Großkönig aus Cashel über die fünf Königreiche von Éireann geherrscht hatte, Muinheamhoin Mac Fiardea, der achte König nach Eber, dem Sohn von Mile. Dieser Großkönig von Cashel hatte den Orden vom Goldenen Halsreif unter seinen Kriegern gegründet.
»Ich wußte nicht, daß du ein Krieger des Ordens von Cashel bist«, sagte Fidelma.
»Ich trage meine goldene Amtskette nicht oft«, gestand er. »Ich bin ja erst vor ein paar Jahren nach Araglin zurückgekehrt, als ich mich nicht mehr jung und kräftig genug fühlte, den Königen von Cashel zu dienen. Und Eber brauchte einen erfahrenen Mann als Kommandeur seiner Leibwache.« Er seufzte. »Diese Aufgabe war nicht so schwierig. Aber vielleicht hätte ich lieber in Cashel bleiben sollen.«
Sein Ton ließ Fidelma aufhorchen.
»Ich habe gehört, du mochtest Eber nicht?«
»Den freundlichen und großzügigen Eber?«
Jetzt war die Ironie in seinen Worten unüberhörbar.
»Wieso, war er das etwa nicht?« konterte Fidelma.
»Jemand sollte dir die Wahrheit über Eber sagen, Schwester.«
»Vielleicht solltest du es tun.«
»Ich bin nicht in der Lage, meine Beschuldigungen zu beweisen. Und wenn ich das nicht kann, verliere ich das bißchen Sicherheit, das ich mir in Araglin für mein Alter geschaffen habe.«
»Ich möchte dir die Aussicht auf ein friedliches Leben nicht zerstören, Dubán. Aber wenn du Sicherheit suchst, dann kann ich mich dafür verbürgen, daß mein Bruder als König von Cashel und derzeitiges Oberhaupt des Ordens, dem du den Eid geschworen hast, nicht zulassen wird, daß dir ein Schaden entsteht, weil du deinem Eid gemäß die Wahrheit sagst. Ich habe dich bereits darauf hingewiesen, daß ich weiß, wie hier die Wahrheit verdreht wird. Warum hast du Menma getötet?«
Die Frage flog ihm so schnell entgegen wie ein Pfeil von der Bogensehne. Sie hörte, wie er tief Luft holte.
»Das … weißt du?«
Er schwieg einen Moment. Dann gab er Antwort.
»Ich bin Menma zu dieser Höhle gefolgt. Ich war auf der Suche nach Dignait, als ich bei Muadnats Hof auf Menma und ein paar andere Männer mit einem schweren Wagen stieß. Sie sahen mich nicht. Ich erkannte die Männer wieder, sie gehörten zu denen, die uns auf dem Waldweg begegnet waren, zu den Viehdieben. Menma gab ihnen Anweisungen, dann ritt er allein in die Berge auf dem Weg, von dem Agdae uns gesagt hatte, er führe nirgendwo hin. Natürlich blieb ich ihm auf den Fersen.«
»Wo wollten die anderen Männer hin?«
»Sie wandten sich nach Süden. Menma ritt zu der Höhle. Es war schon jemand dort.«
»Wer war das?«
»Das konnte ich nicht sehen. Menma und dieser andere waren bereits in der Höhle, als ich ankam. Ich hörte von draußen, daß der andere Menma den Auftrag gab, jemanden zu töten, um ihn zum Schweigen zu bringen.«
»Du konntest nicht sehen, wer dieser andere war, der den Auftrag erteilte?«
»Nein. Aber mich packte eine fürchterliche Wut. Ich dachte nicht daran, daß ich nur meinen Bogen bei mir hatte, stürmte in die Höhle und griff die beiden an. Menma wehrte sich heftig, während der andere, den ich nur als dunklen Schatten in der Finsternis der Höhle wahrnahm, an mir vorbei flüchtete. Ich hörte ihn davongaloppieren, während ich
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