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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Westmeyer, das ist lange her», erhob sich Bocholts Stimme mit diesem Hauch von Herablassung, den Wagner nur zu gut kannte, und die allgemeine Debatte versickerte umgehend. Womöglich nur, weil niemand erwartet hatte, das ausgerechnet dem Kaufmann und Reeder Bocholt, dem doch Fleiß und Kontor über alles gingen, dem Schöngeist aus der hinteren Reihe in dieser Versammlung ernsthafter Männer zur Beachtung verhalf. «Und wie man hört, hat   …»
    «Wo denn?», rief jemand aus dem Billardzimmer dazwischen. «Von wem gehört?»
    «Wie man hört», wiederholte Bocholt unbeeindruckt, «hat Malthus sich mit seinem ältesten Sohn versöhnt. Oder nicht, Westmeyer?»
    «Doch. Unbedingt.» Ascan Westmeyer drängte sich, von der ungewohnten Aufmerksamkeit errötend, aus der Menge zu dem Tisch am Fenster vor. «Monsieur Malthus war, verzeiht, wenn ich das so frei sage, er war ein leicht aufbrausender Mann, das war er wirklich, doch er hatte auch das warme Herz eines Vaters.» Westmeyers Nasenflügel blähten sich bewegt, und er wischte sich mit der Fingerspitze den rechten Augenwinkel. «Ich kannte ihn wirklich gut, nun ja, natürlich nur so gut, wie man einen Mann kennt, der über Jahre Pflanzen für den Garten liefert. Exquisite Pflanzen übrigens, unbedingt, sogar der Caneelbaum hat schon vier Winter überlebt, obwohl Caneelbäume in unseren unwirtlichen Breiten gar nicht gedeihen. Selbst in der Orangerie. Doch nun – diese schreckliche Flut. Alles dahin. Wie? Ach ja, Monsieur Malthus. Als Viktor im letztenHerbst heimkehrte, hat er sich zuerst geweigert, ihn zu empfangen, das stimmt. Obwohl der Oberleutnant doch eine höchst respektable Laufbahn vorweisen konnte und nicht, wie befürchtet, bei Straßenräubern oder Vagantengesindel gelandet war. Die arme Madame Malthus hat damals sehr gelitten, sie ist eine so empfindsame Seele. Doch endlich hat er auf die Stimme des Herzens gehört und natürlich auf das Flehen seiner Gattin, ja, das auch, und seinem verlorenen und heimgekehrten Sohn verziehen. Fast schon auf dem Sterbebett. Und Madame Malthus», nun war der linke Augenwinkel dran, «niemand war darüber glücklicher als Madame Malthus. Es war ihr innigster Wunsch, ihre beiden Söhne vereint an der Spitze   …»
    «Was heißt denn vereint?», fragte ein beleibter Mann, den sein Rock aus weinrotem Samt über einer lachsfarbenen Weste, die gepuderte Perücke und die üppigen Spitzenmanschetten als Liebhaber der französischen Mode auswiesen. «Zwei Männer mit gleichen Rechten an der Spitze eines Geschäfts, so was geht nie gut. Einer muss das Sagen haben. Sonst gibt es Chaos. Oder», er lachte meckernd, «Mord und Totschlag.»
    «So ein Unsinn», rief ein anderer, der seit vielen Jahren mit seinem Cousin zu gleichen Rechten einen florierenden Holz- und Eisenhandel betrieb, «mit Vernunft und einem ordentlichen Vertrag geht das sehr gut.»
    «Das ist doch Sophisterei», protestierte eine neue Stimme. «Reines Pharisäertum!», bestätigte einer, der an der Tür zum Billardzimmer lehnte, den Queue wie ein Gewehr an der Schulter, und eine dritte Stimme in Wagners Nähe murmelte: «Und wenn einer die Braut mit einer Mitgift bekommt, die der andere gerne hätte, geht gar nichts mehr.»
    Diesmal hatte Wagner Pech. Als er sich rasch umdrehte,sah er nur geschlossene Münder in gleichmütigen Gesichtern, den Sprecher der geflüsterten Worte konnte er nicht erkennen.
    Zweifellos hätte Ascan Westmeyer gerne noch mehr von dem berichtet, was er tatsächlich von seinem Kammerdiener gehört hatte. Der wiederum hatte es von der Malthus’schen Köchin erfahren, deren Berufsstand als erste Quelle für vertrauliche Familiennachrichten bekannt war. Leider gingen die Erwägungen über die ergreifende Versöhnung zwischen Vater und Sohn in der Debatte unter, ob und auf welche Weise es möglich sei, ein Unternehmen mit zwei Herren zu führen. Was ihn zutiefst kränkte.
    Wagner beachtete als Einziger, wie der rosenholzfarbene Rock mit steif hochgezogenen Schultern wieder in der Menge untertauchte und das Kaffeehaus verließ. Auch gut. Monsieur Westmeyer war ungemein begierig, sein Wissen preiszugeben, da ihm sonst niemand zuhören wollte, würde er es auch tun, wenn der Weddemeister bei ihm anklopfte. Und ohne Publikum, davon war Wagner überzeugt, würde Westmeyer ihm auch noch das letzte dunkle Gerücht anvertrauen. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit.
    Er war lange genug Weddemeister, um leichtfertige Halbwahrheiten, üble Nachrede und

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