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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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sein alter Freund Bocholt, schlug ein Bein über das andere und gab sich alle Mühe, zu verbergen, dass er genauso enttäuscht war. «Was glaubt ihr denn? Ein Todesfall, gewissermaßen in der eigenen Familie. Als Vormund von Mademoiselle Lehnert hat Herrmanns jetzt Wichtigeres zu tun, als euch zu unterhalten. Natürlich ist er gleich nach Hause gegangen, als der Junge die Nachricht brachte, jedenfalls gleich, nachdem die Börse schloss. Bei aller Pietät muss ein Mann Prioritäten setzen, und bis dahin war die Mademoiselle bei seinen Damen ja in bester Obhut. Außerdem», umständlich seine lange Tonpfeife nachstopfend genoss er die Aufmerksamkeit der versammelten Kaufmannschaft, «außerdem habe ich geradeMalthus gesehen, zweifellos auf dem Weg zum Neuen Wandrahm, um der Braut seines Bruders sein Beileid zu bekunden. Was soll er denken, wenn der Hausherr bei Jensen herumsitzt, anstatt sich um sein trauerndes Mündel zu kümmern. Sah übrigens gar nicht gut aus, der Mann, gar nicht gut.»
    «Malthus? Tatsächlich?» Müllerjohann, ein dünner Mensch mit unanständig großen Silberknöpfen auf dem schwarzen Rock über einer Weste, die für einen Zuckermakler und zu dieser frühen Stunde viel zu bunt geblümt war, feixte. «Malthus hat doch allen Grund, sich zu freuen», rief er in die begierig lauschende Runde. «Jahrelang war ihm sein Erbe sicher, komplett mit allem Drum und Dran, was bei den Malthus’ nicht wenig ist, bei Gott nicht wenig. Und dann kommt plötzlich sein verloren geglaubter Bruder zurück. Sein
älterer
Bruder. Was das bedeutet, muss ich wohl nicht erklären. Der ist nun tot – wenn das kein Grund zur Freude ist.»
    Einer so unerhörten Behauptung wäre in einem privaten Salon und in Anwesenheit von Damen vehement widersprochen, zumindest wäre sie durch einen raschen Wechsel des Themas vornehm übergangen worden. In der reinen Männergesellschaft des Kaffeehauses war solche Rücksicht überflüssig, Müllerjohanns Behauptung ließ Stimmung und Lärmpegel rapide steigen. Da die Profession der meisten Besucher der Umgang mit Waren und Profit war, geriet die Frage nach dem Mörder zugunsten des möglichen Inhalts des Testaments des erst im Frühjahr gestorbenen alten Malthus ganz in den Hintergrund. Was Viktors unvermutete Rückkehr für die Zukunft der Malthus’schen Kunst- und Handelsgärtnerei bedeutete, insbesondere für den jüngeren Sohn, Elias, war nie zuvor öffentlich debattiert worden. Elias war der erfahrene Gärtner und Kaufmann,Viktor der enterbte Abenteurer, der sich nur aufs Schießen und Salutieren verstand. Keine Frage, wer geeigneter war, die Geschäfte weiter zu führen.
    Wagner war zufrieden. Er fühlte sich unsichtbar, konnte still zuhören und darüber sogar seinen Hunger vergessen. Und dass er als Einziger besser wusste, wohin Elias Malthus unterwegs war, nämlich nicht nach dem Neuen Wandrahm, sondern zum Eimbeck’schen Haus, gefiel ihm ausnehmend gut. Die meisten der Männer, die das Wort über ein allgemeines ‹Genau!›, ‹Sehr richtig!› oder ‹Unerhört!› hinaus ergriffen, konnte er sehen, wenn er sich ein wenig auf die Fußspitzen stellte, viele erkannte er. Und er bekam die Hinweise auf die Malthus’schen Familienquerelen, auf die er gehofft hatte.
    Der alte Malthus war weder dumm noch sentimental gewesen, auch gewiss nicht von sanftem, leicht verzeihendem Gemüt. Als Viktor, gerade sechzehn Jahre alt, kurz bevor die Zugbrücken für die Nacht heraufgezogen wurden, das elterliche Haus und die Stadt verlassen hatte, um zu den Soldaten zu laufen, hatte sein Vater jeden, der es hören wollte, wissen lassen, er habe nun nur noch einen Sohn, Elias. Der andere, dessen Namen er nicht mehr nenne und nicht mehr hören wolle, werde sein Haus nie mehr betreten. Käme er auch auf allen vieren angekrochen. Tatsächlich war Viktor in der Stadt bald vergessen, der Älteste, der einzige Sohn und Erbe, war nun Elias.
    «Aber das ist doch lange her», meldete sich Ascan Westmeyer aus einer der hinteren Reihen zu Wort, «vierzehn Jahre.»
    Wagner sah sich um und erkannte den Sprecher in dem Mann im rosenholzfarbenen Damastrock, der von einer leichten Duftwolke von Bergamotte umgeben war. Er war der Einzige, der sich nach ihm umwandte. Wer sich wieWestmeyer schon in jungen Jahren auf seinem Vermögen ausruhte, den die Künste liebenden Privatier gab und von Frauen nur als ‹holden Geschöpfen› sprach, konnte von ordentlichen Kaufleuten nicht ernst genommen werden.
    «Stimmt,

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