Der Tote im Eiskeller
klebrige Lobhudeleien zu schätzen. Wer es verstand, die Spreu vom Weizen zu trennen, fand in solchem Geschwätz immer ein Quäntchen Wahrheit, einen kleinen Hinweis, oft genug etwas, das er auf andere Weise nicht erfahren hätte. Oder zu spät.
«Westmeyer kann viel von Versöhnung und Rührseligkeit reden», Müllerjohanns laute Stimme führte die Debatte zum Thema des Tages zurück, «Madame Malthus mag das glücklich gemacht haben. Aber Elias? Das kann mir keiner erzählen. Es hat mehr als einmal Streit zwischen den Brüdern gegeben, Viktor ist sogar aus dem Haus in denGartenpavillon gezogen. Gemütlich ist es da sicher nicht, keine Bedienung zur Hand und die Ratten aus dem Fleet vor der Schwelle. Also, ich will nichts gesagt haben, aber es ist doch ein eigenartiger Zufall, dass der alte Malthus einen Tag vor seiner Verabredung mit dem Advokaten gestorben ist. Ich glaube nicht, dass es dabei um Violen und Rittersporn ging. Er wollte sich beraten, das ist doch klar. Ich sage nur ein Wort: Testamentsänderung. Den Rest kann man sich denken.»
«Richtig», rief Wülfing, der seit ihrer Kindheit Müllerjohanns Nachbar war und ihn schon immer für einen leichtfertigen Schwätzer gehalten hatte. «Sehr richtig. Man kann sich nämlich denken, wie es
tatsächlich
war. Wilhelm Malthus hat schon lange gekränkelt, er ist nicht so plötzlich gestorben, wie es heißt. Man kann auch denken, seine Söhne hatten nach seinem Tod
keinen
Anlass zu Streit oder Schlimmerem. Kann ja sein, dass sie gestritten haben, das tun Brüder nun mal, aber wenn du behaupten willst, Elias habe etwas mit Viktors Tod zu tun, ist das falsch gedacht. Welchen Grund sollte er haben? Falls Malthus sein Testament wirklich ändern wollte, was ich für reine Spekulation halte, konnte er das ja nicht mehr tun. Ein Teil der Gärtnerei gehört nun seiner Witwe und das meiste Elias. Er hätte Viktor sein Pflichtteil ausgezahlt und seine Ruhe gehabt.»
Während die Stimmen wieder laut wurden, die Leiber der Männer vor Erregung wogten wie reifer Roggen bei aufkommendem Sturm, schob Wagner sich zur Tür und verließ das Kaffeehaus. Fürs Erste hatte er genug gehört. Und im Moment wünschte er sich vor allem, Karla möge dem Leichtsinn nachgegeben und ein Beutelchen Kaffeebohnen gekauft haben.
KAPITEL 5
«Noch ein letztes Schlückchen auf den Weg?» Die Schankmagd nahm ein halb gefülltes Glas von ihrem Tablett und bot es Esbert Müllerjohann an. Sie lächelte auf diese zurückhaltende Weise, die er bei jungen Frauen egal welchen Standes schätzte und fuhr mit vertraulich gesenkter Stimme fort: «Ihr hattet heute wieder einen schweren Tag, ich sehe es an Euren Augen. Der Schlüsselblumenwein mit einer Prise Ingwerwurzel wird Euch gut tun.»
Müllerjohann stand schon an der Tür und sah sich nach den beiden Männern um, mit denen er den Abend im Gasthaus
Zum wilden Bär
verbracht hatte. Sie waren die letzten Gäste und saßen in der ruhigen Ecke hinter dem Kachelofen. Der jüngere hatte noch einmal die Mappe mit den Aufrissen und Berechnungen aufgeschlagen. Für einen Moment argwöhnte Müllerjohnn, sie besprächen etwas, das er wissen sollte, und hätten damit gewartet, bis er sich verabschiedete. Doch das wäre dumm, es gab keinen Grund, so etwas zu tun. Auch war der ältere sein Vetter, dem vertraute er beinahe wie sich selbst.
«Danke, Valerie.» Er nahm ihr das Glas aus den Hand und roch an der gelblichen Flüssigkeit. «Es riecht ziemlich gesund.»
«Das ist es auch, und doch süß und delikat. Es verhilft zu gutem Schlaf. Ihr werdet sehen.» Valerie lächelte immer noch, nickte aufmunternd und sah zu, wie er das Glas leerte. «Ihr solltet an solchen Tagen auch Majorantee versuchen», fuhr sie fort, nahm das Glas zurück und öffnete mit einem Knicks die Tür. «Ich habe nach einem Laternenträgergeschickt, er wartet schon. Guten Heimweg, Monsieur, und eine geruhsame Nacht.»
Sie schloss die Tür hinter ihm, und er hörte, wie sich der große Schlüssel im Schloss drehte. Er mochte Valerie. Für eine Schankmagd zeigte sie gute Manieren, was allerdings in einem noblen Gasthaus wie dem
Wilden Bär
nicht anders zu erwarten war. Ihr Vater hatte an der Straße nach Norden einen florierenden Gasthof für vornehme Gäste besessen. Nur weil er seinen Weinkeller ständig selbst leer getrunken hatte, musste sie nun fremde Leute bedienen.
Der Laternenträger hatte an der Hauswand gelehnt. Als sein Kunde auf die Straße trat, löste er sich mit einem
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