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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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steckte sie gedankenverloren in den Mund, nur um die längliche rote Beere gleich wieder auszuspucken. Sie war saurer als jede Zitrone. Ja, es würde die Befragung erleichtern, sicher konnten die Herrmanns’ gründliche Auskünfte über den Toten geben. Claes Herrmanns gehörte zu den bedeutendsten Großkaufleuten der Stadt, er war Mitglied der Commerzdeputation und gewiss nicht dumm. Wenn sich eine junge Frau verlobte, die seiner Obhut anvertraut war, hatte er den Bewerber auf Herz und Nieren geprüft, bevor er seine Zustimmung gab. Dann wusste er alles über dessen Schulden und Liebschaften, über dessen Vergangenheit und Zukunftspläne.
    Das bedeutete erst recht, dass sich die Familie Herrmanns wieder mal an der Suche nach dem Täter beteiligen würde. In diesem Fall war auch das nicht übel. WagnersLaune wurde heller. Herrmanns hatte die besten Verbindungen und bekam Auskünfte von Männern, die einem Weddemeister niemals Einblicke in ihre Angelegenheiten geben würden, Madame Herrmanns und Madame Kjellerup wiederum kannten alle Damen, und die würden ihnen nur zu gerne jede Art von Familienklatsch anvertrauen. Was sonst wurde bei den Damenkränzchen ausgetauscht?
    Nicht zu vergessen Mamsell Elsbeth. Die war mit allen Köchinnen und Marktfrauen vertraut, mit den Schlachtern und Bäckern, den Wäscherinnen   …
    Wagner vergaß seine kalten Füße und begann leise vor sich hin zu pfeifen. Im Vorbeigehen pflückte er einige kurze Asternzweige mit weißen, lichtblau geränderten Blüten und schob sie behutsam in die Rocktasche. Dort steckte schon sicher verwahrt eine Rosenblüte aus Elfenbein. Er hatte sie zu Füßen des Toten gefunden und eingesteckt, bevor einer der Rotröcke sie entdeckte.
    Er schloss das Gartentor und überquerte, ohne auf die Pfützen zu achten, rasch den Gänsemarkt. Als die Glocke in dem hölzernen Türmchen schlug, blieb er stehen. Zwei Uhr? Das passte zum Knurren seines Magens, doch zwei Uhr bedeutete auch den Börsenschluss und damit eine Gelegenheit, die er sich nicht entgehen lassen durfte.
     
    Auf dem Platz vor dem Rathaus und dem Commerzium sah er wieder den Vogelhändler. Er stand neben seinen Käfigen bei einer der Säulen der offenen Börsenhalle. Hier interessierten sich nur wenige Menschen für seine trillernde Ware. Nur eine alte Dame zählte dem Händler Münzen in die Hand, ihr Diener stand einen Schritt hinter ihr, in jeder Hand einen der kleinen Bauer. Eine Dienstmagd, ihren mit Gemüse gefüllten Korb mit beiden Händen umfasst,und zwei Jungen, deren schwarze Samtkleider sie als Schüler der Lateinschule auswiesen, sahen zu.
    Doch nun hatte Wagner es noch eiliger als zuvor auf dem Gänsemarkt. Er würde Grabbe, seinen Weddeknecht, auf die Spur des Tirolers setzen. Natürlich prüften die Torwachen jedes Passpapier, aber auf die war kein Verlass. Wenn sie gerade die Röcke einer hübschen jungen Bäuerin nach Schmuggelware durchsuchten, eine Aufgabe, der sie sich gern und mit äußerster Gründlichkeit widmeten, konnte ein behänder Mann leicht hinter ihren Rücken in die Stadt schlüpfen. Besonders wenn die hübsche junge Bäuerin mit ihm unter einer Decke steckte.
    Die Nachricht vom Einbruch in das Drillhaus hatte sich rasch verbreitet – die Neuigkeit von dem Toten im Eiskeller tief unten im Wall raste durch die Stadt wie ein Lauffeuer. Normalerweise hätte der Tod eines Stadtsoldaten kaum mehr Beachtung gefunden als der irgendeines unbedeutenden Mannes. Seit dem Bau des Festungsrings vor hundertfünfzig Jahren gehörte die Garnison zur Stadt. Sie wurde gebraucht, aber nicht gemocht. Die meisten der Soldaten, besonders der Offiziere, hatten zuvor viele Jahre anderen Herren in anderen Ländern gedient, das Misstrauen gegen die Männer in den roten Röcken saß tief. Ja, auch gegen die blauen der Artilleristen, deren Zahl war so gering, dass er nie an sie dachte. Was nach den Munitionsdiebstählen, so ermahnte er sich nun, von sträflicher Leichtfertigkeit zeugte. Das vor gut hundert Jahren erlassene Mandat, nach dem kein Einwohner der Stadt etwas von den Soldaten kaufen durfte, weil sich womöglich Gestohlenes darunter befinde, galt immer noch, wenn es auch kaum mehr beachtet wurde. Anders als in früheren, kriegerischen Zeiten betrachteten viele der zweitausend Soldaten die Stadt als ihre Heimat und blieben bis zu ihrem Tod. Dennochwurden sie noch von vielen Bewohnern der Stadt als unzuverlässige Männer beargwöhnt, die ihren Dienst einzig um des bescheidenen Soldes

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