Der Tote im Eiskeller
gemurmelten Gruß aus dem Schatten. Trotz der dunklen Wolken, die sich immer wieder vor die fast runde Scheibe schoben, schien der Mond hell genug, und der Weg vom Pferdemarkt zu seinem Haus gegenüber der Bastion Hironimus war nur ein Katzensprung. Normalerweise verzichtete Müllerjohann in einer solchen Nacht auf einen Laternenträger. Doch Valeries Fürsorge schmeichelte ihm und wärmte sein kühles Herz, und natürlich war es in diesen Tagen, besser gesagt: in diesen Nächten, klüger, nicht allein durch die Straßen zu gehen.
Der Mann, der ihn mit der runden Laterne auf dem langen Tragstock erwartete, wirkte jung und kräftig, er stand gerade und stank nicht nach Fusel. Eine Horde von Räubern konnte er kaum in die Flucht schlagen, doch das Licht und der zweite Mann waren zumindest eine Abschreckung. Zudem wusste jeder, dass gerade in diesem Teil der Stadt die Nachtwächter und Soldaten immer in der Nähe waren.
«Nach den Kurzen Mühren», erklärte Müllerjohann sein Ziel und folgte dem Mann quer über den Pferdemarkt, vorbei an der Constablerwache zur Breiten Straße. In derWache brannte Licht, drei gesattelte Pferde dösten mit gesenkten Köpfen vor der Tür, zwei Soldaten standen mit geschulterten Gewehren unter dem Vordach und rauchten ihre langen weißen Pfeifen.
Die frische, schon herbstlich feuchte Luft klärte Müllerjohanns Kopf, er atmete tief und fand, dieser Tag sei trotz der Malaise seines Kopfes gut gewesen. Wieder ein guter, in Zufriedenheit endender Tag. Wie die meisten der letzten Jahre.
Esbert Müllerjohann hielt sich für einen glücklichen Menschen. Er hatte eine zur Schweigsamkeit neigende Frau, drei Kinder, die ihn kaum störten, und Geschäfte, die alle gut ernährten und satte Polster für die Zukunft schafften. Als geschickter Makler für verschiedene Waren, im Besonderen aber für Zucker, war es ihm gelungen, die richtigen Verbindungen zu knüpfen. Das hieß so viel, dass er sich in der Stadt auskannte, stets Augen und Ohren offen hielt, hier und da auch für diese kleinen Details aus dem Leben und Treiben anderer bezahlte, die zu kennen den Geschäften förderlich sind. Auch war er ein ungemein verschwiegener Mann. Was er erfuhr, verwahrte er sicher in seinem Kopf und sprach darüber nur mit denen, die es ohnedies wussten, gerne vergessen hätten und die zugesicherte Diskretion zu schätzen und – das vor allem – zu honorieren verstanden.
Nicht dass er jemals Geld genommen hätte. Eine solche Niedertracht wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Er hielt nur viel von dem guten alten Sprichwort, nach dem eine Hand die andere wäscht. Ein Bild, das ihm gefiel, weil es von Sauberkeit und dem Erfolg gemeinsamen Tuns sprach. Leider ließ sich das schöne Wort auf die andere Quelle seiner Einkünfte kaum anwenden. Das lag in der Natur der Sache, in den Gängevierteln um St. Jakobiund in der Neustadt und den nur wenig besseren Gassen an deren Rändern war auf diese Weise nicht viel zu holen. Dem Pack, das dort auf der faulen Haut lag, war offenbar alles egal, wobei es sich bestens aufs Jammern verstand. Wenn es hart auf hart ging und sie dort ihren Verpflichtungen nicht nachkamen, dann nahm das Schicksal eben seinen Lauf. Daran trug niemand Schuld als sie selbst. Doch auch so gestalteten sich diese Geschäfte einträglich genug, um sie auszuweiten, und zum Glück waren die Zeiten vorbei, da er sich selbst auf den Weg in die stinkenden Quartiere machen und das Geschrei anhören musste.
Ja, Esbert Müllerjohann war ein glücklicher Mann. Nur eines beeinträchtigte sein Wohlbefinden: die heftigen Kopfschmerzattacken, gegen die kein Mittel half, nicht einmal das neue, allerorts als Wunderpulver gepriesene aus der Ratsapotheke. An manchen Tagen dröhnte es in seinem Kopf so heftig, dass ihm übel wurde und der Schmerz die Sehkraft seiner Augen minderte. Nur Dank der unerschütterlichen Stärke seines Charakters konnte er dann seiner Arbeit nachgehen. Vielleicht halfen auch die Gebete, die er voll Inbrunst zum Himmel schickte, wenn der Schmerz ihn in den frühen Morgenstunden aus dem Schlaf riss. Wobei es mit der Inbrunst nicht mehr so weit her war, seit er argwöhnte, dass die Gebete in dieser Sache doch nicht zu den wirksamen Mitteln zählten.
Der Schmerz, der ihn an diesem Tag begleitet hatte, war von der leichteren Art gewesen und am Ende des Abends fast verflogen. Er hatte sogar gewagt, ein Glas Wein zu trinken, es war ihm gut bekommen. Und sollte Valeries Wein das letzte dumpfe
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