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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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gern, wenn Röcke und Hauben in der Nähe waren.
    In Lüneburg waren zwei Reisende ausgestiegen, der Postillion musste die beiden Bänke nur noch mit zwei weiteren Männern teilen. Der jüngere, ein kurzbeiniger dicklicher Mensch mit einem Kindergesicht, war ein Student, sein Gepäck bestand aus nichts als einer abgeschabten Tasche. Während der ganzen Reise versuchte er sie auf dem Schoß zu halten, was bei dem Geschaukel der Kutsche unermüdliche Aufmerksamkeit erforderte. Dabei sah die Tasche aus, als berge sie nichts als langweilige gelehrte Bücher, einen Schreibkasten und ein zweites reines Hemd.
    Der andere, ein Herr von mittleren Jahren und gewaltigem Umfang, schien kaum interessanter. Sein Passpapier wies ihn als einen Mann von Adel aus, aber solche gab es wie Sand am Meer. Echte und falsche. Und wer in dieser Kutsche und ohne Diener reiste, mit dessen Adel konnte es nicht weit her sein. So oder so – das Trinkgeld würde mager ausfallen.
    Die junge Frau neben dem Kutscher sah nicht aus, als könne man einen vergnüglichen Abend mit ihr haben. Dazu wirkte sie zu fromm. Die Farben ihres einfachen, von kaum helleren Streifen durchzogenen nachtblauen Kleides und des sandgelben Mieders waren noch frisch, auch die festen Nähte bezeugten, dass beides neu war. Ihr Brusttuch war hoch am Hals mit einer kupfernen Nadel geschlossen, eine graue Haube beschattete ihr Gesicht so sehr, dass er es nur sehen konnte, wenn er sich vorbeugte. Sie hatte dunkles, fast schwarzes Haar, das hatte er bemerkt, als sie sich nach einem Reiher umdrehte und dabei den glänzenden Knoten in ihrem Nacken zeigte. Es war ein schöner Nacken,lang und schlank. Für so etwas hatte er einen Blick. Die Zartheit passte allerdings nicht zu ihren Händen, die verrieten deutlich, dass sie ihre Tage nicht müßig in einem Salon zugebracht hatte. Das wunderte ihn nicht. Eine junge Frau, die allein reiste und sich auch noch zu dem Kutscher auf den Bock setzte, stammte kaum aus bürgerlichem oder gar wohlhabenden Haus.
    Trotzdem war sie keine, der man ungefragt zu nahe kam, sei es auch nur, um rasch die Hand auf ihren Arm zu legen oder für ein Weilchen ihren weiblichen Duft zu atmen. Einerlei, selbst eine so spröde Gesellschaft machte eine lange Fahrt auf allzu bekannten Straßen kurzweiliger.
    So hatte ihn ihre Bitte um einen Platz auf dem Bock gefreut, er hatte die Schultern breit und den Rücken gerade gemacht und bedauert, dass er sein Hemd schon seit dem vorletzten Sonntag trug, was man ihm leider auch ansah.
    Es fand es angenehm, wenn Frauen wenig sprachen, es reichte, wenn sie zuhörten. Aber ab und zu ein kleines Wörtchen, ein zierliches Kichern, nur damit er nicht das Gefühl haben musste, mit sich selbst zu reden, das wäre doch angebracht.
    «Wien», versuchte er es wieder, das kleine Wort tat stets gute Wirkung. «Das ist eine grandiose Stadt. Nichts gegen Hamburg, das ist groß – aber Wien!»
    Er gab seiner vom Staub heiseren Stimme etwas Schwärmerisches und wartete auf den Seufzer, der von den Mädchen beim Erwähnen der fernen Kaiserstadt stets erfolgte. Nichts. Nicht einmal die üblichen Fragen, ob er dort die Kaiserin gesehen habe oder wenigstens eine der Hofdamen und ob die Schlösser und Gärten tatsächlich so prachtvoll und paradiesisch seien? Auch nach dem Kaiser wurde gewöhnlich gefragt, allerdings nicht so oft.
    Er war nie in Wien gewesen. Die Postlinie, auf der er seitmehr als einem Jahrzehnt fuhr, verkehrte zwar zwischen Hamburg und Wien, doch er kutschierte stets nur bis Leipzig, für die Weiterfahrt über Prag bis zum Ziel übernahmen andere Kutscher die Zügel. Aber er hatte genug gehört, um mit den Geschichten anderer Männer Eindruck zu machen. Noch besser wäre es gewesen, wenn sich der Traum seiner Jugend erfüllt und er zu den Reitenden Boten gehört hätte. Die waren verwegen und schnell wie der Wind, sie brachten Post bis nach der fernen Türkei, im Norden bis nach Norwegen und Finnland, nach Hinterpommern im Osten, nach Westen bis Amsterdam und weiter durch England bis ins Schottische oder auf die irische Insel. Aber für solche Eskapaden war er längst zu alt.
    «Wien», erklärte er mit einem nachdrücklichen Schnalzen, «ist wahrhaft kaiserlich.» Das war nicht originell, aber hübsch allgemein. «Wart Ihr jemals dort?»
    «Nein», sagte sie und wandte ihm endlich ihr Gesicht zu. Einfach nur nein, kein Wort des Bedauerns, keine Frage nach seinen Erlebnissen. Nur ein Blick aus diesen dunklen Augen. Ein

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