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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Blick, der ihn gleichsam schrumpfen ließ.
    «Na ja», murmelte er, «ich auch nicht. Genau genommen.»
    Sie lächelte, ihr Blick wurde sanft, und sie sah wieder nach vorn.
     
    Die Große Allee vor dem Steintor, das den Eintritt in die Stadt von Osten gewährte, lag beinahe ebenso verlassen wie die in diesen Tagen aus dem überschwemmten Land wieder auftauchenden Nebenarme und -flüsschen der Elbe. Für gewöhnlich waren die schmalen Wasserläufe besonders in der Erntezeit voller kleiner Boote, die Allee voller Wagen; am Morgen rollten sie hoch bepackt in die Stadt, im Gefolge ein paar von barfüßigen Kindern getriebeneGänse oder Schafe, am Abend ging es leer zurück in die Dörfer und zu den einsam in den Marschen gelegenen Höfen. Doch im Spätsommer und Herbst anno 1771 gab es nur wenig zu transportieren, die gesamte Ernte der Vier- und Marschlande war vernichtet. Nur die Äpfel und Birnen, die an den oberen Zweigen der Bäume in den Gärten wohlhabender Bürger die Flut überstanden hatten, leuchteten rot und gelb im Licht der tief stehenden Sonne, als wollten sie die Bauern verspotten, die hier von jeher von der Gemüse-, Erdbeer- und Blumenzucht lebten, stets gebückt über die feuchte schwere Erde.
    Am Rande der Großen Allee vor dem Steintor saßen zwei Männer auf ihren Pferden und blickten auf den verwüsteten Landstrich. Er erstreckte sich als mächtiger Keil nach Südosten, von der am Geesthang verlaufenen Allee etwa drei Meilen weit bis zur großen Elbschleife beim Krauel. Gut zwei Monate nach dem ersten Deichbruch war das Wasser bis auf modrige Tümpel in den Senken wieder abgelaufen, das Grün hatte mit seiner unermüdlichen Energie begonnen, sich den Weg zurück durch das versandete und verschlammte Land ans Licht zu erkämpfen, angeschwemmte Samen hatten schon kleine Kolonien von Gras, Kräutern und niedrigem Gebüsch neu entstehen lassen. Selbst manche der Bäume trieben so spät im Jahr noch einmal Knospen, wie zum Beweis, dass doch noch Leben in ihnen steckte.
    Einer der beiden Männer, der im kirschroten Rock über engen sandfarbenen Hosen, schob seinen Dreispitz zurück, beschattete die Augen mit der Hand und murmelte: «Glück gehabt.» Er sah zu seinem Begleiter und sagte laut und plötzlich vergnügt: «Wirklich, Elias. Verteufeltes Glück.»
    «Wie man’s nimmt», antwortete der andere. Er warschlicht und dunkel gekleidet, ein runder schwarzer Hut mit breiter Krempe steckte nachlässig aufgerollt in seiner Rocktasche. «Wir schon, Viktor. Unser Baumgarten liegt auf dem Geestrücken, aber die Leute dort   …»
    Er beendete den Satz nicht, eine alte Angewohnheit, die den anderen, seinen Bruder, stets ungeduldig werden ließ.
    «Die kommen schon wieder auf die Beine. Wer’s nicht schafft, wäre sowieso über kurz oder lang in Konkurs gegangen. Die Leute in den Marschen sind Deichbrüche gewöhnt, Elias, und immerhin hat die Flut diesmal keine Menschenleben gekostet. Nicht ein einziges. Vergiss jetzt mal das Bauernland und denke an all die abgesoffenen Gärten um die Sommerhäuser. Für uns ist dieses Unglück reines Glück. Wenn der ganze Sand und Unrat erst weggeräumt sind, muss neu angelegt und gepflanzt werden, und wer hier einen Garten hat, verfügt auch über das nötige Geld. Hast du nicht die Liste gesehen? Unter den Besitzern sind zwei Bürgermeister, sechs Senatoren, ein Bürgerkapitän, lauter Männer mit dickem Geld. Auch der Kattunfabrikant ist gut im Geschäft. Für uns, Elias, ist das ein grandioses Geschäft. Ich hoffe, du warst klug genug, die Bestellungen für das nächste Frühjahr zu verdoppeln. Sieh mich nicht so grimmig an, Bruder, ich würde mir nie erlauben, deinen Geschäftssinn infrage zu stellen.»
    Elias Malthus nickte, was immer das bedeuten mochte. Er zog den Hut aus der Tasche, schlug ihn auf dem Oberschenkel in Form und drückte ihn sich auf den Kopf. «Ja. Wir haben wohl Glück gehabt.»
    Er hoffte, sein Bruder habe bemerkt, dass er das ‹Wir› betont hatte. So wie er hoffte, sein Bruder habe nicht bemerkt, dass er zuvor bei dem von Viktor so besonders betonten ‹uns› zusammengezuckt war. Uns. Wir. Das warenschöne Wörter, wenn sie jedoch ihn und Viktor betrafen, insbesondere im Zusammenhang mit der Malthus’schen Handelsgärtnerei, gefielen sie ihm ganz und gar nicht.
    Der durchdringende Klang des Posthorns, schwerer, in einer Staubwolke näher kommender Hufe und ratternder Wagenräder riss ihn aus seinen Gedanken. Die Postkutsche kam rasch heran

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