Der Tote im Grandhotel
noch entspannt ein paar Gläschen Wein trinken konnte.
Er würde zurückfahren und mit Lucies Wagen gen Kiel starten. Dieser Mittelklassewagen fiel – im Gegensatz zu seinem eigenen – niemandem auf. Lucie kam nie vor zwölf Uhr nach Hause. Dann würde er längst wieder zurück sein. Sie schaute nie auf den Kilometerstand, also konnte ihr auch nichts auffallen.
Er hob bei seinen beiden Banken je fünftausend Mark ab. Das tat er oft. Es war völlig unverfänglich. Eine lächerliche Summe. Die Päckchen gingen bequem in eine schwarze, lederne Aktentasche, die er früher benutzt hatte, bevor man zu Samsonites übergegangen war. Er hatte sich nie entschließen können, sie wegzuwerfen.
Er lud seine ›Makarow‹ und verstaute sie einstweilen in einer Gürteltasche, die er vor Jahren von einem Reisebüro als kleine Aufmerksamkeit erhalten hatte.
Er würde diese unangenehme Sache souverän meistern, wie er schon schwere Pannen in seinem Betrieb gemeistert hatte, vom Sieg durch Ausdauer über den alten Seyboldt mal ganz abgesehen.
Der Mittwoch war stürmisch und kalt.
Um so besser. Zeugen konnte man bei einer solchen Geschichte nicht brauchen. Mittags sagte ihm Lucie, ihre Freundin Gerda sei erkrankt. Hans Semmler fühle sich auch nicht besonders wohl. Kurz: Die Bridgepartie fiele ins Wasser.
Nun, es war ein kleines Mißgeschick, aber kein wirkliches Drama. Richard fuhr nun seinen Wagen in die Werkstatt und erkläre dem Meister, der Motor mache so ein komisches Geräusch. Der Meister, durch beachtliche Trinkgeldgaben stets zuvorkommend emsig, horchte und prüfte vergeblich. Richard stimmte zu, den Wagen dazulassen für eine genauere Überprüfung, eventuell eine Probefahrt.
»Aber morgen brauch' ich ihn wieder, Herr Stössel!«
»Klar. Das machen wir schon. Schönen Tag noch, Herr Hornung.«
»Danke gleichfalls. Kann man immer brauchen.«
Abends erklärte er Lucie, er müsse noch einmal mit dem Architekten und dem Bauherrn – »Du weißt doch, der ›Großbauer‹ mit dem Kneipentick« – verhandeln. So etwas passierte manchmal und erregte deshalb auch keinen Verdacht. Schon der alte Seyboldt hatte oft gesagt, die wirklich guten Geschäfte würden auf privater Ebene abgeschlossen.
»Leihst du mir deinen Wagen, Schatz? Meiner ist in der Werkstatt.«
»Sei aber vorsichtig. Das kostbare Stück ist an gute Behandlung gewöhnt.«
»Ich werde mir Mühe geben.«
Mühe geben. Schönen Tag noch. Allerweltssätze bekamen heute einen vertrackten Doppelsinn.
Als Lucie in ihrer ›Töpferwerkstatt‹ war – sie machte einen Keramik-Lehrgang und arbeitete auch zu Hause; gerade fertigte sie einen sehr schönen Behälter zum Verdunsten ätherischer Öle –, brachte Richard eilig die Aktentasche in die Garage und legte sie in den Kofferraum von Lucies Golf. Sie würde bestimmt nicht darin nachforschen.
Abends war es dann soweit. Er startete bereits um acht. Ein zu später Zeitpunkt hätte Verdacht erregen können. So fuhr er noch etwas umher, hielt auf Parkplätzen an und fuhr gerade rechtzeitig in Kiel-Ramsee ein, parkte dort, wo auch die anderen Autos parkten, das fiel am wenigsten auf. Und ein kleiner Anmarsch konnte nicht schaden. Eine ausreichende Entfernung vom Ort des Geschehens würde nur gut sein.
»Packen wir's an!« sagte er laut, als er ausstieg. Er nahm die Aktentasche aus dem Kofferraum und fühlte nach der Waffe in der Tasche, die er unter dem beigen Lumberjack aus weichem Nappa umgeschnallt hatte. Den leichten Mantel ließ er offen.
In dieser Gegend war es abends ruhig. Er traf keinen Menschen. Aber es wäre auch nicht schlimm gewesen. Schließlich sah er zwar gut aus, aber nicht auffällig. So wie er waren hier viele Männer gekleidet.
Richard marschierte zügig in Richtung Kransee und verlangsamte das Tempo, als er den Uferweg erreicht hatte. Zweiundzwanzig Uhr, er war pünktlich. Hoffentlich war der Erpresser es auch.
Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Sein Herz schlug gleichmäßig. Er war angespannt, aber nicht nervös. Kraftvoll und gesammelt wie vor einer großen geschäftlichen Transaktion.
Er hatte seine dünnen Lederhandschuhe angezogen und hielt die Tasche mit der Linken vor den Bauch gepreßt. In der Rechten hatte er die 9-Millimeter-Pistole. Entsichert und einsatzbereit.
Natürlich wußte jedes Kind, daß man einem Erpresser niemals nachgeben darf. Sie kamen immer wieder. Sie bluteten ihr Opfer aus. Es war wie beim Pokerspiel, wenn man mit einem General Flash zuerst einen
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