Der Tote im Grandhotel
ehrlich, Richard, hast du den Jungen getötet?«
»Warum hätte ich das tun sollen?«
»Er könnte etwas gewußt haben, das ich nicht wissen sollte, zum Beispiel.«
Richard war schockiert. Das war unheimlich. Er hatte seine Frau offenbar immer noch unterschätzt.
»Ich liebe dich, Lucie.«
»Und die im Hotel liebst du auch? Jedenfalls hat sie sich schon wieder gemeldet. Ich möchte dich etwas fragen, und sag mir bitte die volle Wahrheit. Hast du den Jungen getötet?«
»Nein. Ich schwöre es.«
Es entstand eine lange Pause. Sie schauten sich nicht an. Richard wußte, daß sie sich niemals wieder voller Zuneigung in die Augen sehen würden. Er hatte Lucie falsch beurteilt. Er hatte gedacht, sie ruhe in sich, sei egozentrisch. Statt dessen hatte sie ihn beobachtet, hinter ihm hergeschnüffelt. Er war das Eigentum, das ihren Erwartungen auf der ganzen Linie entsprechen sollte. Nur in einer Hinsicht reagierte Lucie genau so, wie er es erwartet hatte: Sie vergab nicht.
Lucie dachte, daß sie den Seitensprung vielleicht doch hätte überwinden können. Man machte nicht so einfach einen Schlußstrich unter ein wichtiges Kapitel seines Lebens. Aber sie war nun sicher, daß ihr Mann diesen Knaben ermordet hatte. Nicht aus Liebe zu ihr, sondern um seine Reputation, seine Stellung, seine Familie zu behalten.
Er leugnete, und das rechnete sie ihm eigentlich hoch an. Sie konnte ihr Gesicht wahren.
»Ich habe noch einmal den Abend damals überdacht, nach dem der Kommissar mich fragte. Ich habe auch mit Anton gesprochen. Ich gebe dir dieses Alibi um all der Jahre willen, in denen ich mit dir glücklich war. Und natürlich auch Angelas wegen. Sie soll nicht mit dem Handicap belastet sein, daß ihr Vater ein Mörder ist. Jetzt bin ich sicher, daß ich mich geirrt habe. Ich habe da etwas durcheinandergebracht. Anton hatte recht. Ich will den Kommissar anrufen und meine Aussage richtigstellen. Du warst an dem fraglichen Abend natürlich die ganze Zeit über zu Hause.«
»Lucie!«
»Hieß der Kommissar nicht Weber?«
»Wedel.«
»Gut. Es gibt eine Bedingung. Ich reiche die Scheidung ein. Du übergibst die Geschäftsleitung Herrn Buche, ich werde dann weitersehen. Du ziehst hier umgehend aus und bist weg, wenn Angela zurückkommt.«
»Und was soll ich machen, deiner Meinung nach?«
»Wir werden alles mit unseren Anwälten besprechen. Viel Möglichkeiten, meine Wünsche zu durchkreuzen, bleiben dir nicht, oder? Ein tüchtiger Mann wie du wird schon wieder etwas finden. Bist du einverstanden?«
»Selbstverständlich. Du bist sehr großzügig.«
Beinahe hätte er laut gelacht. Alles kaputt, das ganze Leben kaputt wegen ein paar leidenschaftlicher Umarmungen mit einer süßen fremden Frau. Zu alt für einen neuen Start. Er hatte die Makarow in den Kanal geworfen. Jetzt tat es ihm beinahe leid. Vielleicht wäre das der letzte Ausweg gewesen. Vielleicht war es ja wirklich der einzige Ausweg?
Bernd Wedel war der Held der Stunde. Er hatte einen Verbrecherring hochgehen lassen. Mady sonnte sich in seinem Glänze. Monica war wieder einmal sehr stolz auf ihn. Im Falle Hornung allerdings hatte die Gattin nun doch ein wasserdichtes Alibi geliefert, das von dem Diener voll bestätigt wurde.
Es blieb dieser Bodensatz. Stinkend, gammelig.
Bernd Wedel dachte an den kleinen Pagen im Hotel, der ihm nicht die Wahrheit hatte sagen wollen, und an dessen Beerdigung später. Und an den ehrenwerten Kaufmann Richard Hornung.
Er war es gewesen. Er, Wedel, wußte es. Er konnte es nicht beweisen, aber er würde ihn im Auge behalten. Jahrelang. Irgendwann würde er über seine eigenen Füße stolpern. Dann würde er da sein. Und gewiß nicht, um ihn aufzuheben. Strafe mußte sein. Hornung würde sie kriegen.
So oder so.
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