Der Tote im Schnee
frühstücken.«
Vincent zog sich in das Nähzimmer zurück. Vivan holte Sauermilch und Haferflocken aus dem Kühlschrank. Da sie keine Tageszeitung hatte, nahm sie eine alte Illustrierte aus dem Zeitungskorb und schaltete gleichzeitig das Radio auf der Fensterbank ein.
23
Die Untersuchung von Vincent Hahns Lebensumständen wurde am Morgen intensiviert. Seine Wohnung hatte man noch in der Nacht ermitteln können, und Fredriksson war mit vier Streifenpolizisten dort eingedrungen. Wie er es nicht anders erwartet hatte, war sie leer.
Die Zweizimmerwohnung hatte einen trostlosen Eindruck gemacht. Es gab keine Gardinen, nur wenige Möbelstücke und noch weniger persönliche Gegenstände. Das Telefon war tot. Es gab keinen Computer.
»Das Eigenartigste«, berichtete Fredriksson bei der morgendlichen Besprechung, »war eine Schaufensterpuppe. Sie lag mit einem schwarzen Slip bekleidet in Hahns Bett.« Fredriksson errötete, als er den anderen von der etwas schmuddeligen Dame berichtete.
»Keine Telefonnummern, Briefe oder ähnliches?« fragte Beatrice, die ihrem Kollegen helfen wollte weiterzukommen.
»Tja«, sagte Fredriksson und zupfte sich an der Nasenspitze, »es gab fünf Aktenordner mit Schreiben, die Hahn im Laufe mehrerer Jahre verfaßt hat. Die Briefe waren an die Provinzialregierung, die Stadtverwaltung, Uppsala-Bus, das schwedische Radio und Gott weiß noch wen adressiert. Er hat seine Zeit offenbar damit verbracht, sich über alles und alle zu beschweren. Die Antwortschreiben hat er ebenfalls archiviert. Soweit ich sehen konnte, waren die meisten von ihnen abweisend und knapp gehalten.«
»Er ist bestimmt berüchtigt«, meinte Ottosson.
»Wo ist er jetzt, das ist die Frage?« sagte Sammy.
»Wir wissen, daß er am Eisenbahnübergang in Bergsbrunna von einem PKW aufgegriffen wurde. Der Fahrer, ein Energieanlagenelektroniker, hat sich heute morgen bei uns gemeldet, nachdem er die Zeitung gelesen hatte. Er hat Hahn vor der Ambulanz der Universitätsklinik abgesetzt.«
»Wann war das?«
»Etwa eine halbe Stunde nach dem Überfall in Sävja«, antwortete Fredriksson. »Wir sind der Sache nachgegangen, aber im Krankenhaus ist gestern kein Vincent Hahn behandelt worden. Sie melden sich, wenn er dort auftauchen sollte.«
»Wie schwer waren seine Verletzungen?«
»Er hat ziemlich stark geblutet, doch deshalb muß er nicht unbedingt schwer verletzt sein. Der PKW-Fahrer meinte, sein Gesicht sei blutüberströmt gewesen, daß Hahn im Kopf jedoch klar zu sein schien. Er konnte ohne Hilfe gehen.«
»Ist er Deutscher?« fragte Ottosson.
»Nein, schwedischer Staatsbürger. Die Eltern sind seit vielen Jahren tot. Er hat noch einen Bruder namens Wolfgang, aber der ist vor fünfzehn Jahren nach Israel emigriert.«
»Ist er Jude?« wollte Lundin wissen.
»Halbjude. Seine Mutter war Jüdin und ist nach dem Krieg nach Schweden gekommen. Soweit jedenfalls die Angaben im Einwohnermeldeamt.«
Fredriksson verstummte und sah auf seine Unterlagen.
»Okay«, sagte Ottosson, »gute Arbeit. Wir werden sowohl seine Wohnung als auch die von Gunilla Karlsson weiter überwachen. Fredriksson versucht herauszufinden, ob Hahn Verwandte oder Freunde hat. Irgendwo muß er ja hin sein. Er kann die Stadt eigentlich nicht verlassen haben, jedenfalls nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Mit einer solchen Verletzung wäre er sofort aufgefallen.«
»Hat er ein Auto?« fragte Sammy.
»Nicht einmal einen Führerschein«, antwortete Fredriksson.
»Okay«, wiederholte Ottosson, »kommen wir zu dem Messer und diesem sauberen Früchtchen, das es bei sich hatte. Sammy!«
»Mattias Andersson wurde im Zusammenhang mit einer Schlägerei in der Stadt verhaftet. Er trug ein Messer bei sich. Bohlin von der Jugendgruppe hatte natürlich vom Mord am kleinen John gehört, und als er es zu Gesicht bekam, hat er sich die Waffe mal ein bißchen genauer angesehen. Es waren Blutflecken darauf, und es hat sich herausgestellt, daß es Johns Blut war.«
»Das ist ja ein Ding«, meinte Beatrice. »Wie alt ist der Junge?«
»Fünfzehn.«
Die Tür ging auf, und Berglund trat mit dem Staatsanwalt im Schlepptau ein. Sie setzten sich; Sammy fuhr mit seinem Bericht fort.
»Er behauptet, das Messer am Tag seiner Verhaftung im Parkhaus der Universitätsklinik aus einem Auto gestohlen zu haben. Wir haben das überprüft, aber an dem Tag sind keine Einbrüche in Autos angezeigt worden. Das hat allerdings nicht unbedingt etwas zu sagen, denn Mattias Andersson
Weitere Kostenlose Bücher