Der Tote im Schnee
Reinhold nicht mögen würde. Vielleicht weil er gesungen und seine Freunde verraten hatte, um die eigene Haut zu retten. Westrup, ein Schone, der vor einem Jahr zur Polizei von Uppsala gekommen war, hatte versprochen, ihm Ljusnemark zu bringen.
Als der rothaarige Mann eine Stunde später in Ola Havers Büro geführt wurde, grinste er dümmlich. Haver begutachtete ihn wortlos. Er bedeutete Ljusnemark mit einer Handbewegung, er solle sich hinsetzen, und nickte Westrup zu. Dieser blieb noch einen Moment lächelnd im Türrahmen stehen. Neben seinem massigen Körper und dem etwas schwerfälligen Gang war es dieses Lächeln, das Haver an seinem Kollegen besonders schätzte. Oft wußte man nicht so recht, was er dachte, aber er war immer freundlich.
Haver schwieg eine Weile. Das Grinsen seines Besuchers wurde immer gezwungener. Haver tat, als suche er nach etwas, holte eine dicke Akte heraus, in der es um einen ganz anderen Fall ging, schlug sie auf, schaute ein paar Sekunden in ein Meer aus Berichten und Vernehmungsprotokollen.
»Ganz schön dick«, sagte er und schlug die Akte wieder zu.
»Was meinen Sie? Zusammenarbeit oder Konfrontation?«
Ove Reinhold Ljusnemark setzte sich gerade hin. Sein Lächeln war nun völlig verschwunden, kehrte jedoch schnell als angestrengte Grimasse zurück, und er räusperte sich. Haver war sich nicht sicher, ob er das Wort Konfrontation verstand.
»Sie kannten doch den kleinen John, nicht wahr? Es gibt Leute, die meinen, Sie hätten etwas mit seinem Tod zu tun.«
Ljusnemark schluckte.
»Wie bitte?« erwiderte er. »Wer sagt das?«
Haver legte seine Hand auf die Akte.
»Wollen Sie reden oder es kompliziert machen?«
»Das ist eine verdammte Lüge! Ich habe nur ein paarmal mit ihm gespielt.«
»Schön, dann erzählen Sie uns mal von Ihrem Spiel.«
Ljusnemark sah ihn an, als wären sie mitten in einer Partie Poker.
»Wir haben Karten gespielt. Ich kannte ihn eigentlich nicht. Wir waren eine Runde, die sich ab und zu traf. Keine großen Summen, aber manchmal wurde es doch mehr.«
»Sie sind Frührentner?«
Ljusnemark nickte.
»Sechsundvierzig Jahre alt und völlig kaputt«, meinte Haver.
»Ich habe Ischias.«
»Immerhin scheinen Sie ja noch ganze Nächte beim Pokerspielen sitzen zu können. Erzählen Sie mal, um wieviel Geld es ging.«
»Sie meinen, beim letzten Mal? Na ja, wir haben vorsichtig angefangen, mit kleinen Einsätzen.«
»Wer war alles dabei?«
»Das wechselte ein wenig. Die Leute kamen und gingen, denn wir haben ziemlich lange gespielt. Die Zeit vergeht schnell, wenn man Spaß hat. Zwischendurch haben wir auch noch Pizza gegessen.«
Ljusnemark verstummte und versuchte zu lächeln.
»Reden Sie nicht um den heißen Brei herum.«
»Es ist schon was her. Ich erinnere mich nicht so genau.«
»Hören Sie«, sagte Haver scharf, »uns liegen Informationen vor, die Sie mit einer Waffe in Verbindung bringen, und die wurde aller Wahrscheinlichkeit nach beim Mord am kleinen John verwendet.«
»Was?!«
»Wer war bei dem Spiel dabei? Um wieviel Geld ging es?«
»Was denn für eine Waffe? Ich habe noch nie eine Waffe besessen.«
Haver schwieg.
»Give me a break«, sagte Ljusnemark; in diesem Moment war Haver bereit, ihn zwanzig Jahre lang bei Wasser und Brot einzulochen. Er schlug die Akte wieder auf.
»Da waren ich und John«, begann Ljusnemark, und dann folgte die ganze Geschichte, wortreich und fließend, alle Namen. Zwei, drei von ihnen kamen Haver bekannt vor.
»Sie haben verloren, was?«
»Maximal fünf, sechs Mille. Ich schwöre es. Ich mußte aussteigen. Jerry hat für mich weitergespielt.«
»Jerry Martin?«
Ljusnemark nickte. Er wand sich auf seinem Stuhl. Haver sah ihn einige Sekunden prüfend an.
»Sie können jetzt gehen«, sagte er dann.
Acht Namen. Haver fühlte instinktiv, daß hier irgendwo die Lösung lag. Geld und Leidenschaft, dort mußten sie die Antworten auf ihre offenen Fragen suchen. Über Geld und enttäuschte Liebe stolperten die Menschen.
Haver lehnte sich zurück. Gab es eine Gesellschaft, in der nicht alles vom Geld bestimmt wurde? Er hatte einmal von einem Volksstamm in Afrika gehört, bei dem Gewalt und Diebstähle praktisch nicht vorkamen und man sich nicht die Mühe machte, die Zeit zu messen. Er sehnte sich dorthin, aber dieser Stamm war bestimmt schon ausgerottet oder in Slums vertrieben worden, wo die Stammesangehörigen am Alkohol und Aids zugrunde gingen.
Acht Personen. Haver nahm die Liste mit den Namen und ging zu
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