Der Tote im Schnee
im Moment einfach nicht übers Herz, ihm das zu verbieten«, sagte Berit, nicht entschuldigend, sondern eher trocken konstatierend.
»Wie geht es ihm?«
»Er sagt nicht viel. Er geht nicht in die Schule, hockt dafür aber um so mehr vor dem Aquarium.«
»Standen die beiden sich nahe?«
Berit nickte.
»Sehr«, sagte sie nach einer Weile. »Sie hingen immer zusammen. Wenn es jemanden gab, der John beeinflussen konnte, dann war es Justus.«
»Wie lief es denn finanziell? Sie haben erwähnt, daß das Geld manchmal knapp war.«
Berit schaute aus dem Fenster.
»Es ging uns gut«, antwortete sie.
»Wie war es in der letzten Zeit?«
»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Sie glauben, daß John in eine krumme Sache verwickelt war, aber das stimmt nicht. Er war vielleicht oft schweigsam und wirkte unnahbar, aber dumm war er nicht.«
»Das habe ich auch nicht behauptet. Aber um nicht lange um den heißen Brei herumzureden: Es sieht ganz danach aus, daß John im Herbst einen beträchtlichen Geldbetrag gewonnen hat.«
»Gewonnen? Sie meinen bei Pferdewetten?«
»Nein, beim Kartenspiel. Poker.«
»Sicher, er hat manchmal Karten gespielt, aber nie um große Summen.«
»Zweihunderttausend Kronen«, sagte Beatrice.
»Wie bitte, das ist unmöglich.«
Das Erstaunen der Frau schien nicht gespielt zu sein. Sie schluckte und sah Beatrice verständnislos an.
»Es ist nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich. Wir haben mehrere Zeugen, die das übereinstimmend aussagen.«
Berit senkte den Kopf und sackte in sich zusammen. Mit den Fingern einer Hand tastete sie über die Tischdecke und zupfte zerstreut an den Stickereien, die einen schlittenfahrenden Weihnachtsmann darstellten. Die Musik in Justus’ Zimmer war verstummt, und in der Wohnung war es vollkommen still.
»Warum hat er mir dann nichtsdavon gesagt? Zweihunderttausend, das ist doch unglaublich viel Geld. Sie müssen sich irren. Wer hat behauptet, daß er soviel gewonnen hat?«
»Unter anderem vier Personen, die in jener Nacht Geld verloren haben.«
»Und jetzt sind sie wütend auf John und versuchen ihn in den Dreck zu ziehen.«
»So kann man es auch sehen, aber ich glaube, daß sie die Wahrheit sagen. Man brüstet sich nicht damit, um Geld gespielt zu haben, aber sie fühlen sich unter Druck gesetzt und entscheiden sich deshalb dafür, mit der Wahrheit herauszurücken. Außerdem dürften einige von ihnen Probleme haben zu erklären, woher sie das Geld für ihre hohen Spieleinsätze hatten.«
»Ist er wegen des Geldes ermordet worden?«
»Das ist zumindest denkbar.«
»Und wo ist das Geld jetzt?«
»Darüber haben wir uns auch Gedanken gemacht. Vielleicht ist es gestohlen worden, als John ermordet wurde, oder es liegt irgendwo auf einem Bankkonto oder …«
»Bei uns zu Hause«, ergänzte Berit, »aber hier ist kein Geld.«
»Haben Sie das überprüft?«
»Was heißt überprüft. Ich habe natürlich einiges von ihm weggeräumt, und Sie sind seine Sachen doch auch durchgegangen.«
»Wir werden wohl noch einmal nachschauen müssen.«
»Es ist bald Weihnachten, ich denke an Justus. Er braucht jetzt Ruhe.«
Sie unterhielten sich weiter. Beatrice fragte Berit, ob sie sich jetzt, da sie wisse, daß John so viel Geld in die Finger bekommen hätte, daran erinnern könne, ob im Herbst etwas Unerwartetes passiert sei, aber Berit meinte, John habe sich wie immer verhalten.
Beatrice zeigte Berit Fotografien der Männer, die bei der Pokerrunde mitgespielt hatten.
»Einer von ihnen könnte Johns Mörder sein«, sagte Berit.
Beatrice erwiderte nichts, sondern sammelte die Fotos wieder ein.
»Hätten Sie was dagegen, daß ich mich mal mit Justus unterhalte?«
»Ich werde Sie wohl nicht daran hindern können«, meinte Berit leise. »Wollen Sie ihm auch die Bilder zeigen?«
»Das vielleicht nicht, aber ich möchte ihn fragen, ob ihm an Johns Verhalten im Herbst eine Veränderung aufgefallen ist.«
»Sie haben sich vor allem über Fische unterhalten.«
Beatrice stand auf.
»Glauben Sie, er will mit mir reden?«
»Da müssen Sie ihn schon selber fragen. Eine Frage noch, wann hat er das Geld gewonnen?«
»Mitte Oktober«, antwortete Beatrice.
Sie klopfte vorsichtig und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Justus saß mit angezogenen Beinen auf seinem Bett. Neben ihm lag ein aufgeschlagenes Buch.
»Du liest?«
Justus erwiderte nichts, schlug das Buch zu und sah sie mit einem Blick an, den Beatrice nur schwer deuten konnte. Sie erkannte
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