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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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Worüber unterhielten sie sich? Definitiv nicht über die Jahrgangsweine eines fantastischen Weinguts in einem abgelegenen Teil der Erde. Wenn es hochkam, verglichen sie anhand der Testergebnisse in den Zeitungen ihre Erfahrungen mit den Tetrapak-Weinen des staatlichen Alkoholgeschäfts.
    Sammy Nilsson abonnierte seit vielen Jahren die Zeitschrift »Spektrum der Wissenschaft« und erzählte regelmäßig mit kindlicher Begeisterung Anekdoten über Ereignisse im Weltall oder aus der medizinischen Forschung und verbreitete seine populärwissenschaftlichen Erkenntnisse mit der selbstverständlichen Autorität eines Nobelpreisträgers. Fredriksson ergänzte diese Geschichten, indem er ausführte, wie fantastisch es war, daß in Alunda Rauhfußbussarde überwinterten, oder warum Wölfe zögerten, Eisenbahnschienen zu kreuzen. Das ist unsere Bildung, dachte sie zufrieden.
    Fredriksson war der Naturschwärmer, der Probleme mit der Hetze und dem immer brutaler werdenden Alltag hatte. Außerdem zeigte er zuweilen leicht fremdenfeindliche Tendenzen. Mit Unverständnis begegnete er den entwurzelten Jugendlichen der zweiten Generation in Ausländerfamilien, die immer öfter in den Registern der Polizei auftauchten. Sammy wurde rasend vor Wut, wenn Fredriksson eine seiner Generalisierungen von sich gab, und dann kam es zu kleinen Reibereien, die stets damit endeten, daß Fredriksson sagte: »So habe ich das überhaupt nicht gemeint, das weißt du ganz genau.«
    Deshalb sind wir gut, dachte Lindell und schob den Kinderwagen ein paar Meter weiter. Wenn wir auf die feine Art gebildet wären, dann wären wir schlechtere Polizisten. Gut möglich, daß es solche Polizisten in anderen Distrikten gab; die Beamten in der geistigen Hochburg Uppsala waren hingegen Leute wie du und ich.
    Ann Lindell lächelte vor sich hin. Ihre Überlegungen endeten nicht ohne Selbstzufriedenheit, und sie wußte auch, daß sie damit ihre privaten polizeilichen Ausflüge rechtfertigen wollte. Sie versuchte sich einzureden, daß jeder andere im Kommissariat genauso gehandelt hätte wie sie.
    Das stimmte natürlich nicht. Ihre privaten Ermittlungen waren moralisch nicht zu rechtfertigen, das wußte sie. Ottosson würde über ihre Handlungsweise ziemlich betrübt sein, ein Großteil der Kollegen nur den Kopf schütteln. Aber wie hätte sie sich sonst verhalten sollen? Lennart wollte mit ihr und keinem anderen sprechen, da war es doch ihre Pflicht gewesen, sich der Verantwortung zu stellen? Und von Lennart war es nicht weit bis zu Berit.
    Lindell wurde nicht recht schlau aus Johns Frau. Es war durchaus möglich, daß sie über Informationen verfügte, die sie der Polizei nicht geben wollte, ganz gleich, wie nett sie sich von Frau zu Frau miteinander unterhalten hatten. Berit wollte in erster Linie ihren Sohn schützen und danach das Andenken Johns in Ehren halten; das waren zwei Seiten der gleichen Medaille. Wußte sie, wo der Pokergewinn war? Hatte sie eine Affäre mit einem anderen Mann? War Eifersucht, eventuell vermischt mit Geldgier, das Motiv für den Mord? Lindell fiel es schwer zu glauben, daß Berit an dem Mord beteiligt gewesen sein könnte oder daß ein verschmähter Liebhaber dahintersteckte, ein Mann, mit dem sie zunächst ein Verhältnis gehabt, den sie dann jedoch abgewiesen hatte. Lindell glaubte an Berits Treue. Sie wollte an sie glauben und spielte mit dem Gedanken, sich noch ein paarmal mit der Frau zu treffen. Berit schien klug zu sein, hatte eine direkte Art und bestimmt auch Humor.
    Sie verstaute den Kinderwagen im Kofferraum. Erik wachte auf, als sie ihn im Kindersitz festschnallte. Er sah sie mit großen Augen an. Sie streichelte seine Wange.

30
    Er wußte, daß Johns Tod irgendwie mit ihm zusammenhing. Es konnte einfach kein Zufall sein, daß zwei seiner Quälgeister bestraft worden waren. Die Gerechtigkeit nahm ihren Lauf.
    An die ersten fünf, sechs Jahre seiner Schulzeit erinnerte Vincent sich nur noch vage. Er war passabel zurechtgekommen. Erst in der Mittelstufe begannen die Probleme. Wie das Gefühl entstanden war, ein Außenseiter zu sein, wußte er nicht, aber es kam oftmals sogar körperlich zum Ausdruck, so als wollten seine Klassenkameraden ihn nicht einmal berühren. Von der Körperlichkeit der Jungenspiele blieb er ausgeschlossen und suchte Anschluß an die Mädchen, war jedoch zu eigen, um voll und ganz von ihnen akzeptiert zu werden. Mit der siebten wurden die Kinderspiele, die Jungen und Mädchen gemeinsam spielen konnten,

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