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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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immer weniger. Statt dessen kam es zu einer Positionierung, einem Suchen nach den Geschlechterrollen. Von der Zeit an paßte Vincent nicht mehr dazu, er war weder süß noch charmant, und das einzige, was für ihn sprach, war sein Schweigen, das die Mädchen als Kontrast zu den großmäuligen und sprunghaften Auftritten der anderen Jungen schätzten, doch auf Dauer wurde er immer stärker isoliert, ausgeschlossen.
    Er hatte versucht sich Gunilla zu nähern. Manchmal hatten sie gemeinsam ein Stück des Schulwegs zurückgelegt. Sie waren keine Freunde, aber Vincent war zufrieden in ihrer Nähe, sie war jemand, mit dem man reden konnte. Meistens trennten sich ihre Wege am Schultor, tatsächlich ging sie bereits schneller, wenn sie am Tripolis um die Ecke bogen und Kurs auf den schmiedeeisernen Zaun der Schule nahmen.
    Am Ende einer Freistunde hatte er ihr gestanden, daß sein Vater ihn schlug. Auslöser war ein blauer Fleck auf seinem Hals gewesen, direkt unter dem linken Ohr. Einige seiner Mitschüler hatten behauptet, Vincent habe einen Knutschfleck, andere interessierten sich kaum dafür. Gunilla war zu ihm gekommen und hatte ihn angesehen, aber nicht wie die anderen mit ihren hämischen Blicken, die jederzeit zu einem üblen Scherz bereit waren. Sie hatte den blauroten Bluterguß vielmehr mit Interesse studiert und vorsichtig seinen Hals befingert; eine flüchtige Berührung für die Dauer einer Sekunde.
    Da hatte er es gesagt.
    »Mein Vater schlägt mich.«
    Sie hatte die Hand zurückgezogen und ihn erschreckt angesehen. Für einen Moment hatte er geglaubt, in ihrem Blick noch etwas anderes zu erkennen.
    »Vincent bekommt zu Hause Schläge«, hatte sie unmittelbar darauf über den Schulflur gerufen, als gerade alle zusammenkamen, um in die Klasse zu gehen. Alle Blicke waren auf ihn gerichtet gewesen.
    »Bist du nicht brav oder machst du ins Bett?« sagte einer der Jungen.
    »Armer Vincent«, meinte ein anderer, »kriegst du Kloppe auf den Hintern?«
    Gunilla hatte triumphierend zwischen den anderen gestanden. Dann war ihr Lehrer gekommen und hatte die Tür zum Klassenzimmer geöffnet. Vincent erinnerte sich noch, daß in der folgenden Unterrichtsstunde die Amöben behandelt worden waren.
    Mit John war es anders gewesen. Er ging in eine Parallelklasse, aber manche Fächer hatten sie gemeinsam. In Hauswirtschaft hatte es angefangen. Weder Vincent noch John fielen weiter auf, die Lehrer mußten sich vielmehr große Mühe geben, um überhaupt etwas aus ihnen herauszubekommen. Sie sollten als Zweiergruppe einen Sandkuchen backen. Unsicher hatten sie nach den Anweisungen des Lehrers die Zutaten verrührt. Unglücklicherweise hatte Vincent dann jedoch die Schüssel umgeworfen, als er noch etwas Mehl unterrühren wollte. Die beiden Jungen hatten wie gelähmt dagestanden und zugesehen, wie der grauweiße Schlabber sich über das Pult ergoß und auf den Boden tropfte.
    Der Lehrer war aufgetaucht und aus irgendeinem Grund davon ausgegangen, daß John die Sauerei verschuldet hatte. Keiner der Jungen hatte etwas gesagt, schon gar nicht Vincent, der überzeugt war, daß er sonst Schläge bekommen würde.
    John mußte aufwischen. Vincent wurde einer anderen Gruppe zugeteilt. Seit jenem Tag wurde Vincent von John gehaßt. Mit seiner stillen Diplomatie gelang es ihm, Vincents Klassenkameraden anzustacheln, daß sie den Mitschüler mobbten. Vincent war keine graue Maus mehr in der Menge, er wurde zur willkommenen Beute. Danach war alles eine Maschinerie, die sich verselbständigte. Ein einziges Mal hatte er sich bei seinem Klassenlehrer beschwert, was jedoch zur Folge hatte, daß der Terror erst recht eskalierte.
    Er wußte, daß John dahintersteckte, obwohl sie nie miteinander sprachen und John sich auch nicht aktiv an seiner Verfolgung beteiligte.
    Jetzt war er tot und Vincent zufrieden. Gunilla war zwar nicht tot, aber gründlich verängstigt. Sie würde ihn niemals vergessen. Die Angst würde sie ihr Leben lang begleiten.
    Die Verwirrung des Vormittags war einer traumwandlerischen Harmonie gewichen. Er wußte, daß er auf der richtigen Spur war. Die Telefonschnur um Vivans Hals, ihr erschreckter Blick und ihre röchelnden Laute, das alles hatte ihm gut getan. Sie war so schnell verstummt. Ihre Augen, in denen zunächst nur Mißtrauen und dann Panik stand, hatten ihn zum Lachen gereizt. Es war das letzte, was sie wahrgenommen hatte, seinen lachenden, übelriechenden Mund. Er hätte das Lachen gerne noch etwas in die Länge

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