Der Tote in der Wäschetruhe
der Couch und tauscht mit ihr Zärtlichkeiten aus. Seine Eltern und auch die von Judith sind nicht sehr begeistert über die Verbindung der beiden Jugendlichen. Bei Judith, die mit ihrer Familie im Nebenhaus wohnt, dürfen sie sich gar nicht aufhalten, doch bei ihren Nachbarn können sie sich ungestört treffen. Die Brüder Dieter und Georg Fischer bewohnen das Gehöft in der Gemeinde Brieske seit dem Sommer ganz allein. Die Mutter hat nach dem Tod ihres Mannes - pikanterweise war er der Vater des Vaters von Georg - wieder geheiratet und ist mit ihrem jüngsten Sohn zum Ehepartner in die benachbarte Kreisstadt Senftenberg gezogen. Sie hält Verbindung zu ihren Jungs, obwohl ihr Ein-fluss auf die beiden schon seit langer Zeit gering ist.
Dieter, mit 25 Jahren der Älteste, ist ein einfacher Mensch. Er hat ein schlichtes Gemüt, das Denken fällt ihm mehr als schwer. Ärzte vermuten, dass bei der Geburt etwas schiefgegangen ist und sein Hirn unter Sauerstoffmangel gelitten haben könnte. Die Hilfsschule hat er nach der sechsten Klasse verlassen. Das Rechnen überfordert ihn schon, wenn die Zehnerreihe überschritten wird, und was er aufschreibt, strotzt vor Fehlern.
Georg ist anders. Zwar hat es der inzwischen 23-Jährige auch nur bis zur achten Klasse geschafft, doch das immerhin in der normalen Oberschule. Georg hätte es auch weiterbringen können, wenn er sich nur ein bisschen mehr auf den Hosenboden gesetzt hätte. Statt dessen lässt er sich von hochtrabenden Träumen treiben, ohne mit Ernsthaftigkeit an die Verwirklichung seiner Ziele zu gehen. Einmal will er eine Gaststätte mit gehobenem Niveau übernehmen, ein anderes Mal Klavierstimmer werden oder Musik studieren. Realität ist eine kriminelle Kar-riere, die bereits im Alter von 16 Jahren Anfang der neunten Klasse beginnt. Zwischen 1973 und Mai 1980 sitzt er dreimal Im Gefängnis, jeweils verurteilt wegen Diebstahl und Betrug. Georg will Frauen mit Großzügigkeit imponieren, die er sich nicht leisten kann. Von seinen 500 Mark Nettolohn, die er als Montierer im Gleichrichterwerk Großräschen bekommt, gehen monatlich 80 Mark Unterhalt und 100 Mark Schadenersatz für die einstigen Gaunereien weg.
Die Defizite im Sein versucht er durch Schein zu vertuschen. Er kleidet sich besonders auffällig, lackiert die Fingernägel, spricht geschraubt. Tabletten gehören zu seiner täglichen Ernährung und machen ihn »high«. Nur von ehrlicher Arbeit hält Georg nicht viel. Nach seiner letzten Haftentlassung Mitte Mai 1980 wird er an seinem Arbeitsplatz nur selten gesehen. Von 111 Arbeitstagen ist er 53 Tage krank, genießt acht Tage Urlaub und leistet sich 25 Fehlschichten. Im September hat er ganze vier Pfennige Lohn ausbezahlt bekommen, nachdem ihm wegen verschiedener Verstöße das Krankengeld gestrichen wurde. Im Portemonnaie herrscht chronische Schwindsucht.
Zum Glück hat er seinen einfältigen Bruder Dieter. Der arbeitet ebenfalls im Gleichrichterwerk und verkauft dort für Georg Schallplatten, die dieser sich günstig besorgt hat. Dabei legt Dieter ein Engagement an den Tag, das die Kollegen von ihrem Hilfsarbeiter ansonsten gar nicht kennen. Nur unter strenger Kontrolle erreicht er einigermaßen zufriedenstellende Leistungen. Ansonsten lässt er sich leicht ablenken und beeinflussen. Wenn Bruder Georg in der Nähe ist, wirkt er ängstlich und verschüchtert und macht nur, was der ihm sagt. Dieter weiß, dass sein Bruder brutal zuschlägt, wenn er nicht nach dessen Pfeife tanzt. Bei aller Kritik schätzen die Kollegen, dass Dieter ein gutmütiger Kerl ist, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann. Das Leben hat ihn leider mit wenig Intelligenz ausgestattet.
Auch Dieter ist bereits straffällig geworden. 1974 weist ihn das Kreisgericht Senftenberg wegen Nötigung und Diebstahl in eine Nervenklinik ein, nachdem ein Gutachter ihm Schwachsinn attestiert hatte. 1978 wird er wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, die ihm später durch eine Amnestie des Staatsrates der DDR erlassen wird.
Lutz Kunze mit seiner Judith auf der Couch weiß von diesen Lebensläufen wenig. Natürlich ist in Brieske bekannt, dass der Dieter »nicht ganz richtig im Kopf« ist. Doch mit dem älteren der Fischer-Brüder hat Lutz sowieso kaum Kontakt. Der werkelt in Haus und Scheune herum oder kümmert sich um das Kleinvieh. Mit Georg ist das anders. Das ist ein richtiger Kumpel. Er besitzt Schallplatten mit guter Musik, hat Ahnung von Autos und
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