Der Tote in der Wäschetruhe
autoritär auftritt und von Falk nicht viel hält. Der ist ihm als Junge viel zu weich, nicht fleißig genug und ohne Durchhaltevermögen. Mit elf Jahren versucht Falk, sich mit Stadtgas das Leben zu nehmen. Es ist eine Panikreaktion, nachdem er seinen Vater entdeckt hatte, der betrunken vor dem Gasherd lag.
Schon im Kindergarten merken die Erzieherinnen, dass es Falk schwerer hat als die gleichaltrigen Mädchen und Jungen in seiner Gruppe. Er ist nervös und fahrig und leistet in der vorschulischen Ausbildung viel weniger als die anderen Kinder. In der Schule verstärken sich die Symptome. Falk lässt sich leicht ablenken. Lesen und Schreiben fallen ihm schwer, im Kopfrechnen sind die Klassenkameraden immer schneller als er, sich Gedichte oder Liedtexte zu merken, überfordert ihn. Oft wirkt der Junge abwesend, ist in Gedanken ganz woanders. Hausaufgaben erledigt er nur widerstrebend und unvollständig, schlechte Noten sind ihm egal. Impulse zum Lernen, die er so dringend benötigt, bekommt er von den Eltern nicht. Ermah nungen der Lehrer nerven ihn, er reagiert entweder gar nicht oder ist beleidigt. Aufmerksamkeit und Anerkennung im Klassenkollektiv versucht er durch extremes Verhalten zu erlangen. Er verlässt einfach den Unterricht, beschimpft Lehrer, verhält sich undiszipliniert. Hobbys hat Falk nicht. Er gehört keiner Sportgemeinschaft an, beteiligt sich auch nicht an außerschulischen Arbeitsgemeinschaften. Matchboxautos sind seine einzige Leidenschaft, doch die kosten Geld, das ihm fehlt. Nachmittags »vergammelt« Falk seine Freizeit in einer Clique von Jungs. Viele von ihnen sind jünger als Falk, ein paar gleichaltrig. Sie beschmieren Fahrstühle in den Hochhäusern, randalieren auf Spielplätzen, rauchen und belästigen Mädchen. In der Clique fühlt sich Falk anerkannt, obwohl er klein und schmächtig ist. In der Gruppe gibt er sich stark, ohne sie ist er ein eher ängstlicher Typ. Gerät der Junge in unbekannte Situationen, schlottern ihm die Knie und die Hände zittern. Er fürchtet sich im Dunkeln, vor dem Arzt, vor dem Tod, träumt, dass er von Verbrechern verfolgt wird, dass die Mutter stirbt, dass er aus großer Höhe herabstürzt. Dann betet der streng christlich erzogene Junge und bittet Gott um Beistand für Mutti, Vati, für sich und seine Schwester, zu der er im Alltag kein besonders inniges Verhältnis pflegt. Viel lieber hätte er einen großen Bruder, zu dem er aufblicken kann und der ihn beschützt.
Daheim eskalieren die Auseinandersetzungen zwischen den Eltern, die Ehe wird im April 1984 geschieden. Dass der Vater aufgrund des Wohnraummangels nach wie vor im Haushalt lebt, freut Falk. Dennoch werfen ihn die Konflikte vollends aus der Bahn.
Im August 1983 lauert der damals 14-Jährige in einem Wald zwischen Hoyerswerda und Seidewinkel einem 16-jährigem
Mädchen auf. Er will es vergewaltigen, so, wie er es Tage zuvor im Fernsehen gesehen hatte. Horror- und Gewaltfilme gefallen dem Jugendlichen, die sind spannend und aufregend. Falk ver-folgt das Mädchen und schlägt ihm mit einem dicken Knüppel auf den Hinterkopf. Durch den Schlag, so sein Tatplan, fällt es bewusstlos vom Fahrrad, und er kann dann an der Wehrlosen Geschlechtsverkehr durchführen. Wie das geht, hat er sich auf Pornobildern angeschaut. Intimen Kontakt zu einem Mädchen hatte er noch nie, doch zum Sex fühlt sich das schmächtig wirkende Bürschchen in der Lage.
Das Mädchen reagiert anders, als von Falk Grunde erwartet. Bs schnauzt den verdutzten Jungen an: »Spinnst du, hau ab, sonst knall ich dir eine«, steigt auf ihr Rad und fährt von dan-nen. Falk kommt ungestraft davon.
Wochen später lässt das Kindsgesicht seine Wut am helllichten Tag an einem Mädchen aus, das zur Mittagszeit auf dem Weg von der Schule nach Hause ist. Mit einer starken Kette schlägt er ihr ohne Grund in die Kniekehlen. Kurz danach wird die 13-Jährige erneut sein Opfer. Diesmal ist die Clique bei ihm. Die Jungs umringen die Schülerin auf der Wiese hinter einem Wohnblock und zerren sie zu Boden. Falk ist das noch nicht genug. Er springt ihr mit beiden Knien auf den Rücken. Grölend verfolgt die Horde das Mädchen, das sich befreien konnte und voller Angst flieht. Sie wird eingeholt, und Falk tritt ihr aus vollem Lauf heraus mit den Beinen in die Rippen.
Immer tiefer versinkt Falk Grunde im Strudel der Kriminalität. Fr braucht Geld, um mit den anderen in der Clique mithalten zu können. Von den Eltern hat er nichts zu erwarten. Die
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